Der »schwarz-gelben« Koalition droht eine neue Zerreißprobe in der Innen- und Rechtspolitik. Nach einem Bericht in der heutigen Ausgabe des Magazins Spiegel verlangt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine sofortige Wiedereinführung der so genannten Vorratsdatenspeicherung. Darunter versteht man die anlaßlose Speicherung aller Telekommunikationsdaten auch von unverdächtigen Bürgern für mindestens ein halbes Jahr zu polizeilichen Zwecken. Dies ist seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 2. März 2010 in der früheren Gesetzesfassung verboten.
Die Karlsruher Richter haben das noch von der großen Koalition aus CDU/CSU und SPD herrührende Gesetz für grundgesetzwidrig erklärt, weil es ein »Eingriff von bisher nicht bekannter Tiefe« in die Bürgerrechte sei. Allerdings wurde eine solche Datensammlung nicht grundsätzlich untersagt, so daß eine Neuauflage des Gesetzes mit verschärften Datenschutzregelungen zulässig wäre. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die selber Verfassungsbeschwerde gegen die Richtlinie ihrer Amtsvorgängerin Brigitte Zypries (SPD) erhoben hatte, weigert sich bisher jedoch, eine Neuregelung auf den Weg zu bringen. Leutheusser-Schnarrenberger fordert, man solle zunächst eine laufende Evaluierung der entsprechenden Richtlinie durch die Europäische Union abwarten. EU-Justizkommissarin Viviane Reding ist ebenfalls eine Kritikerin der Vorratsdatenspeicherung und hat wiederholt angekündigt, sie werde das Vorhaben anhand des seit 1. Dezember 2009 geltenden EU-Grundrechtekatalogs überprüfen lassen. Das Ergebnis der Evaluierung wird für Ende des Jahres 2010 erwartet.
So lange wollen die Unionsparteien jedoch nicht mehr warten. Seit Wochen trommelt der Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, für eine neue Ermächtigung seiner Behörde zur Vorratsdatenspeicherung. Konservative Innenpolitiker wie Hans-Peter Uhl (CSU) behaupten, es gäbe derzeit eine »eklatante Schutzlücke«. Innenminister de Maizière steht somit unter erheblichem Druck der Hardliner in seiner eigenen Fraktion sowie des ihm unterstellten BKA. Wie der Spiegel meldet, will de Maizière nun mit einer öffentlichen Kampagne die FDP zum Einlenken bringen. Zu diesem Zweck sollen demnach Ende dieser Woche BKA-Experten in Berlin anhand möglichst spektakulärer Fälle darstellen, daß es ohne Vorratsdatenspeicherung angeblich »blinde Flecken in der Verbrechensbekämpfung« gebe.
Damit werden CDU und CSU, die schon bei dem Projekt »Stuttgart 21« die Bevölkerung gegen sich haben, erneute massive öffentliche Proteste provozieren. Denn unter dem Motto »Freiheit statt Angst« gingen kürzlich Zehntausende Demonstranten in Berlin gegen den Überwachungsstaat auf die Straße. Sogar die FDP leistet – noch – Widerstand. Die innenpolitische Sprecherin Gisela Piltz erklärte am Samstag: »Die Union muß zur Kenntnis nehmen, daß sie mit ihren Vorstellungen zur Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverfassungsgericht eindrucksvoll gescheitert ist. Nach dem Urteil ein Weiter-so zu fordern, ist nicht sachgerecht. Die Grundrechte taugen nicht für eine Trial-and-Error-Politik.« Auch der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) appellierte am Freitag an die EU, die Interessen der Medienvertreter zu berücksichtigen. DJV-Chef Michael Konken kritisierte, daß die Vorratsdatenspeicherung den Informantenschutz gefährde.