Liebe Freundinnen und Freunde,
Mit einer „Stasi-Horror-Picture-Show“ – so Arnold Schölzel in der jungen Welt – läutete die ARD den Countdown zum 20. Jahrestag der sogenannten deutschen Einheit ein. Der Sechsteiler „Weißensee“ sei. „Romeo und Julia im Stasiland“ schrieb der Kölner Stadtanzeiger.
Sozialismus = DDR = Stasi – diese Gleichung wird um so penetranter vorgenommen, je weiter die DDR-Geschichte zurückliegt.
Auch über 20 Jahre nach der sogenannten Wende wird die Stasi-Keule munter weiter geschwungen. Dabei geht es keineswegs um die Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Vielmehr soll jede positive Erinnerung an soziale Errungenschaften der DDR ebenso wie jede aktuelle Kapitalismuskritik diskreditiert werden.
Und liebe Freundinnen und Freunde,
das ist keine Verschwörungstheorie, sondern lässt sich schon dem Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Bundesregierung entnehmen. Da wurden sogenannten Extremismusbekämpfungsprogramme vereinbart. Nicht mehr die Bekämpfung des Neofaschismus steht damit im Vordergrund, sondern Rechtsextremismus, Islamismus und Linksextremismus wurden gleichermaßen als extremistische Verfassungsfeinde ausgemacht. Und beim Linksextremismus wird nicht nur an Autonomen oder die Linkspartei gedacht, sondern auch die „Verklärung der SED-Diktatur“ explizit genannt. Hierfür sieht die Bundesregierung ein Maßnahmenbündel vor, dass von der Einrichtung eines Arbeitsschwerpunkts „Aufarbeitung der SED-Diktatur“ bei der Bundeszentrale für politische Bildung über die Errichtung einer Jugend- und Begegnungsstätte sowie der Schaffung eines koordinierenden Zeitzeugenbüros bis zur Erstellung eines Jahresberichts der Bundesregierung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur reicht. Weiter heißt es wörtlich: „Die Aufarbeitung des NS-Terrors und der SED-Diktatur wird wie im Gedenkstättenkonzept des Bundes vorgesehen fortgesetzt und verstärkt“. Der skandalöse Extremismusansatz, der Faschismus und Antifaschismus – Täter und Opfer – gleichsetzt, wird hier erneut deutlich.
Eine Schlüsselfunktion im Kampf gegen die sogenannte „Verklärung der SED-Diktatur“ kommt laut Koalitionsvertrag weiterhin der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) zu. „Das Thema Staatsicherheit ist besonders gut dazu geeignet, junge Menschen das Innenleben der SED-Diktatur begreifbar zu machen“, ist BStU-Leiterin Frau Birthler überzeugt. So unterzeichneten die Birthler-Behörde und der Berliner Bildungssenator im März eine Kooperationsvereinbarung, um das Thema DDR-Geschichte an Berliner Schulen zu behandeln. Mehr Raum wird dem Thema DDR im Lehrplan übrigens nicht eingeräumt. So werden weiterhin nicht die Leistungen der Menschen in der DDR und die sozialistischen Errungenschaften, die es tatsächlich gab, zumindest kritisch gewürdigt. Vielmehr geht es wieder nur um Stasi, Stasi, Stasi.
Wie schnell die Stasi-Keule bei der Hand ist, konnte ich im Mai dieses Jahres selber erfahren. Was war geschehen? Wie schon die letzten Jahre habe ich zur alljährlichen Tagung ehemaliger haupt- und nebenamtlicher Mitarbeiter der DDR-Auslandsaufklärung, der „Hauptabteilung A“ in Strausberg ein kurzes Grußwort geschickt. Unter den ehemaligen Kundschaftern für den Frieden sind eine ganze Reihe Genossen, die ich als überzeugte Sozialisten aus der Partei oder auch als solidarische Kollegen bei der jungen Welt kenne. Dabei lobte ich die umfangreichen nüchternen wissenschaftlichen Untersuchungen und Dokumentationen ehemaliger HVA-Mitarbeiter. Wörtlich schrieb ich: „Man muss nicht jede eurer Einschätzungen teilen. Aber es gilt anzuerkennen, dass wohl kaum ein anderer Geheimdienst so umfassend von seinen eigenen ehemaligen Mitarbeitern und Kundschaftern aufgearbeitet wurde, wie die Auslandsaufklärung der DDR.“ Schließlich erklärte ich noch: „Viele von Euch wurden für ihren mutigen Einsatz für den Frieden nach dem Ende der DDR mit Gefängnis bestraft. Die Spione des BND – eines von Altnazis aufgebauten aggressiven imperialistischen Dienstes – gingen dagegen für ihre Operationen gegen den Sozialismus straffrei aus. Diese Ungleichbehandlung ist bis heute ein himmelschreiendes Unrecht, das ein bezeichnendes Verständnis auch auf den sogenannten demokratischen Rechtsstaat wirft, den die Spitzel von BND und Verfassungsschutz angeblich verteidigen.“
Zuerst entdeckte die extrem-rechte Wochenzeitung Junge Freiheit das in der jungen Welt dokumentierte Grußwort. Erst dann griffen etablierte Medien wie Spiegel-Online, die offensichtlich auf die Zuarbeit der rechten Anti-Antifa angewiesen sind, das Thema auf. Nun ging es los. Wochenlang bekam ich Dutzende Hass-Mails, bei denen es sich bis auf wenige Ausnahme um wüste antikommunistisch motivierte Beschimpfungen handelte, oft genug verbunden mit persönlichen Beleidigungen und sogar Drohungen. „Du bolschewistische Drecksau, geh doch nach Nordkorea“ hieß es da und das Verbot der Linkspartei wurde gefordert. Ja, selbst jetzt fast fünf Monate nach meinem Grußwort erreichen mich noch vereinzelte solcher Mails. Wie hoch die Wellen schlugen, zeigt auch die Internetsuchmaschine Google. Wer hier meinen Namen eingibt, dem wird gleich als erste Wortkombination „Ulla Jelpke“ und „Stasi“ vorgeschlagen. Zu dieser Verbindung finden sich sage und schreibe 3760 Einträge im Netz.
Der innenpolitische Sprecher der CSU im Bundestag, Stephan Mayer, forderte mich zu einer Entschuldigung bei den Stasi-Opfern auf. Da sich mein Grußwort an die HVA richtete, sollte ich mich wohl bei deren „Opfern“, also den Kriegsprofiteuren in der Rüstungsindustrie und den Kriegstreibern im NATO-Stab entschuldigen. Arnold Vaatz, Vizevorsitzender der CDU im Bundestag, will aus meinem Grußwort die „Wahrheit und Klarheit“ über die Linkspartei herausgelesen haben. Demnach ziele die Linkspartei im Kern auf die Abschaffung der Demokratie in Deutschland. Wer wie der Generalsekretär der CDU Brandenburg, Dieter Dombrowski, ausgerechnet im Interview mit der antidemokratischen Wochenzeitschrift Junge Freiheit das Grußwort einen „Schlag ins Gesicht aller Demokraten“ nennt, entlarvt sich nur selbst.
Dass sich die bürgerliche Presse mit besonderer Energie auf mein Grußwort stürzte, war kein Zufall. In Düsseldorf hatte die Schwarz-gelbe Landesregierung eine Wahlniederlage erlitten. Und für eine neue Regierungsbildung von SPD und Grünen war die LINKE nun das Zünglein an der Wage. Bereits im Landeswahlkampf in NRW wurde die Stasi-Keule gegen die LINKE bemüht. Weil die Sozialistische Linke in NRW, eine der Strömungen in der Partei, in einem Papier die DDR als einen „legitimen Sozialismusversuch“ bezeichnet hatte, verfolgten Mitarbeiter des ZDF-Magazins Report Mainz tagelang die Kandidaten der LINKEN. Gefragt wurden diese nicht etwa, welche Rezepte die Partei gegen Massenerwerbslosigkeit und Finanzmarktkrise zu bieten hat. Die Gretchenfrage lautete vielmehr: „Wie halten Sie es mit der Stasi“.
Nachdem sich immerhin 5,6 Prozent der Wähler in Nordrhein-Westfahlen durch derartig unseriöse Berichterstattung von einer Stimmabgabe für die LINKE nicht abschrecken ließen, wurde die Stasi-Keule nun erneut zu den Koalitionsverhandlungen geschwungen. Sicherlich spielte dabei mein HVA-Grußwort nur eine untergeordnete Rolle. Aber der NRW-Linken insgesamt sollte nach dem Willen von SPD und Grünen ein Gesinnungstest vorgelegt werden, nämlich die DDR als Unrechtsstaat zu verurteilen. Gleichzeitig forderten die Grünen von der Linken die Einsicht, „dass der Verfassungsschutz als Instrument zur Sicherstellung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zur Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger notwendig“ sei. Die Grünen waren übrigens einmal vor langer Zeit mit dem Ziel angetreten, alle Geheimdienste abzuschaffen.
Wogegen ich mich im Grußwort an die HVA ausgesprochen habe und weiterhin aussprechen möchte, ist eine „Dämonisierung“ der DDR. Mir geht es keinesfalls darum, tatsächlich von Angehörigen des MfS begangene Verfehlungen oder sogar Verbrechen zu verharmlosen, zu verschweigen oder zu rechtfertigen. Schließlich haben solche Handlungen in erster Linie dem Sozialismus schweren Schaden zugefügt und richteten sich oft genug auch gegen überzeuge Sozialisten und linke Oppositionelle. Auch die HVA ist hier nicht gänzlich ausgenommen. Ich erinnere an den Fall des Antifaschisten, Sozialisten und Gewerkschafters Heinz Brandt, der 1961 aus Westberlin in die DDR entführt und dort jahrelang inhaftiert wurde.
Ich meine, wir dürfen die Stasi-Debatte nicht den Antikommunisten jeglicher Couleur überlassen, die ihrerseits kein Problem mit Geheimdiensten und Spitzeleien haben, solange es nur gegen die Linken geht.
Das notwendige Nachdenken über das MfS findet auch bei ehemals führenden Mitarbeitern der Staatssicherheit statt. So erklärte Generaloberst a.D. Werner Großmann, Leiter der HVA, im Interview mit der jungen Welt: „Überzogen war die Neigung, den Sicherheitsapparat aufzublähen und diesen mit der Lösung innenpolitischer Probleme zu beauftragen. Gesellschaftliche Konflikte hätten durch die politische Führung des Landes und nicht durch das MfS bearbeitet und gelöst werden müssen.“
Und der stellvertretende Minister für Staatssicherheit Generalleutnant a.D. Wolfgang Schwanitz ergänzt: „Das MfS wurde zum Vollstrecker einer verfehlten Sicherheitspolitik gemacht. Es hat objektiv dazu beigetragen, die Entfaltung der sozialistischen Demokratie und konstruktiver Kritik zu behindern. Dadurch wurde eine notwendige Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Ursachen, weshalb Menschen opponierten oder ausreisten, verhindert.“
So bemerkenswert es ist, dass sich ehemalige Angehörige der HVA – und auch anderer Abteilungen des MfS – an der Aufarbeitung der eigenen Geschichte beteiligen: notwendig ist eine vorurteilsfreie und unabhängige wissenschaftliche Untersuchung der Geschichte der DDR-Geheimdienste. Es darf nicht sein, dass eine von politischen Aufträgen der Regierung abhängige Behörde wie die BStU das Deutungsmonopol über diesen Abschnitt deutscher Geschichte hat. Mehrfach hat das BStU zudem seine Verfügungsgewalt über die Stasi-Akten zur gezielten Diffamierung politisch andersdenkender missbraucht. Ich erinnere daran, wie immer wieder versucht wurde, Gregor Gysi als Stasi-Spitzel zu diffamieren.
Noch nicht so lange zurück liegt zudem der Fall des Berliner Landesvorsitzenden der Humanistischen Union, Bruno Osuch. Im Frühjahr 2009 hatte die Birthler-Behörde kommentierte Berichte über Osuch an ausgewählte Journalisten weitergegeben, in denen diesem eine Nähe zur Stasi und einer DKP-Militärorganisation unterstellt wurden. Bis dahin galt Osuch als „Betroffener“ von Maßnahmen der Stasi. Für die Journalistenauskunft war er zum „Begünstigten“ – also vom Opfer zum Täter – umkategorisiert worden. Dies geschah übrigens gegen interne Bedenken des zuständigen „Abteilungsleiters Aktenauskunft“ der Birthler-Behörde, wie später vor Gericht deutlich wurde. Mehrere Zeitungen veröffentlichten anschließend entsprechende Berichte. Die konservative Berliner Presse begründete die Brisanz des Stasi-Vorwurf gegen Osuch damit, dass der Landesvorsitzende des Humanistischen Verbandes aktiver Teil des Bündnisses „Pro Ethik“ sei, das gerade gegen das Volksbegehren konservativ-christlicher Kräfte „Pro Reli“ mobilisierte. Mit dem Stasi-Vorwurf gegen Osuch, der auch SPD und GEW-Mitglied ist, sollte so das breite „Pro Ethik“-Bündnis insgesamt getroffen werden. Erfolglos, wie sich zeigte. Pro Reli scheiterte an den Wahlurnen und Osuch klagte – nach dem Volksbegehren – erfolgreich auf Unterlassung der Stasi-Vorwürfe. Hier ist die Methode der Birthler-Behörde wieder einmal deutlich geworden.
Zum Schluss noch etwas grundsätzliches zur Frage von Geheimdiensten. Als eine Lehre aus Fehlentwicklungen in der DDR hatte die PDS bei ihrer Gründung die Forderung nach Abschaffung aller Geheimdienste übernommen. Darin stimmte die transformierte ehemalige Staatspartei mit den Bürgerrechtlern der DDR-Opposition und dem Runden Tisch überein. Heute – 20 Jahre später – ist ein Großteil der damaligen DDR-Bürgerrechtler, die sich heute zum Teil in den Reihen der CDU wiederfinden, längst davon abgerückt. Die Forderung nach Abschaffung aller Geheimdienste ist der Unterscheidung zwischen Geheimdiensten in Diktaturen, zu denen auch die DDR gezählt wird, und Demokratien gewichen. Oberstasijäger Joachim Gauck etwa rechtfertigte selbst zu einem Zeitpunkt, als SPD und Grüne um die Stimmen der Linken für ihren Bundespräsidentschaftskandidaten buhlten, noch die geheimdienstliche Überwachung der Linkspartei. Nur die Partei DIE LINKE hält bis heute an einer grundsätzlich geheimdienstkritischen Position fest, während alle anderen Parteien in den letzten Bundesregierungen den Abbau von Bürgerrechten und die Stärkung von Überwachung und Geheimdienststrukturen zugestimmt haben.
Ich will nicht verhehlen, dass einige Genossinnen und Genossen innerhalb der Linken die Hoffnung – oder besser Illusion – haben, Geheimdienste ließen sich „rechtsstaatlich zähmen“ durch eine bessere parlamentarische Kontrolle. Doch diese Kontrolle schaut immer so aus, dass nur zur Geheimhaltung verpflichtete Parlamentarier Einblick in die Tätigkeit der Nachrichtendienste bekommen. Ich bleibe deshalb dabei: Geheimdienste lassen sich nicht demokratisch kontrollieren. Geheim und demokratisch – das ist ein nicht auflösbarer Widerspruch. Daher muss unser Ziel die Auflösung aller Geheimdienste als undemokratischer Spitzelinstitutionen sein.