Die Richter hatten in ihrem Urteil die Praxis verworfen, die Regelsätze für Arbeitslose aufgrund von Schätzungen festzulegen. Seit dieser Entscheidung war abzusehen, daß auch die Unterstützung für Asylbewerber neu berechnet werden muß. Denn diese erfolgt noch schikanöser und willkürlicher: Asylbewerber, aber auch »Geduldete«, erhalten nach Antragstellung lediglich eine Grundsicherung, die mehr als ein Drittel niedriger ist als der »normale« Hartz-IV-Satz. Als Begründung hierfür galt anfangs, die Flüchtlinge hätten geringere »Integrationsbedürfnisse«, weil sie ohnehin in kurzer Zeit entweder abgeschoben oder anerkannt würden. Die Realität sieht freilich anders aus: In mehreren Etappen wurde die zunächst einjährige Kürzung des Satzes auf vier Jahre verlängert. Außerdem wurde sie von Asylbewerbern auf alle »Ausreisepflichtigen« ausgedehnt, obwohl die Erfahrung zeigt, daß fast zwei Drittel der »Geduldeten« schon seit über sechs Jahren in Deutschland leben. Die Bundesregierung begründet diese Erweiterung nun ungeschminkt mit den Worten: »In den Vordergrund trat der Gedanke der Kosteneinsparung.«
Konkret betroffen von dieser diskriminierenden Regelung sind derzeit mehr als 120000 Menschen. Ihnen wird das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verweigert. Sie erhalten lediglich 224,97 Euro monatlich, ohne daß ersichtlich wäre, nach welchen Kriterien der »normale« Mindestsatz derart gekürzt wird. Für Essen, Kleidung, Körperpflege und Haushaltsenergie, Strom und Telefon sind insgesamt ganze 7,26 Euro pro Tag vorgesehen. Manche dieser Leistungen werden oft in Form von minderwertigen Sachleistungen gewährt. Kinder unter sieben Jahren werden gar mit 132,93 Euro im Monat abgespeist, ohne daß die für Minderjährige notwendigen gesonderten Ausgaben konkret berechnet werden. Genau das hatte Karlsruhe bei Hartz IV beanstandet. Auch das sogenannte »Bildungspaket« bekommen Flüchtlingskinder nicht, obwohl sie schulpflichtig sind.
Schließlich wird die medizinische Versorgung auf die Behandlung »akuter Schmerzzustände« beschränkt, Prävention und Vorsorgeuntersuchungen gibt es nicht. Besonders perfide ist, daß der Betrag von knapp 225 Euro seit Einführung des Gesetzes im Jahr 1993 niemals angepaßt wurde. Die Arbeits- und Sozialminister der Bundesländer haben zuletzt im November 2009 eine Erhöhung ausdrücklich abgelehnt.
Die Bundesregierung hat nun angekündigt, die Leistungssätze zu überprüfen. Damit will sie sich aber offenkundig Zeit lassen. Die Linksfraktion fordert, das Gesetz komplett abzuschaffen, vor allem die Zwei-Drittel-Kürzung: Wenn der »normale« Hartz-IV-Satz offiziell die untere Grenze des Existenzminimums definiert, darf es kein Darunter mehr geben«.