Rede zu TOP TOP 21 der 105. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den Visakodex (Drucksache 17/5470)
Wir verhandeln hier heute in erster Linie die Umsetzung zweier EU-Richtlinien in das deutsche Aufenthaltsrecht. Die eine Richtlinie ist international als Abschieberichtlinie zu trauriger Berühmtheit gelangt. Des Weiteren soll die so genannte Sanktionsrichtlinie umgesetzt werden. Damit werden Strafen gegen Arbeitgeber, die Menschen ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis beschäftigen, zur Pflicht. Zudem sollen die Betroffenen die Möglichkeit erhalten, als Zeuge gegen ausbeuterische Arbeitgeber aufzutreten und ausstehenden Lohn einzuklagen.
Im Rahmen der Umsetzung der Sanktionsrichtlinie geht es auch um das Aufenthaltsrecht für die Betroffenen ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse ohne Aufenthaltsstatus. Hier gibt es dringenden Änderungsbedarf. Wie schon bei den Opfern von Menschenhandel und Zwangsprostitution soll das Aufenthaltsrecht für diese Menschen begrenzt und davon abhängig gemacht werden, ob die Mitwirkung der Betroffenen in einem strafrechtlichen Verfahren erforderlich ist. Das ist eine strafrechtliche Instrumentalisierung von Menschen, die nicht selten Hilfe und Beistand benötigen. Noch schlimmer: die Betroffenen können sich nicht einmal sicher sein, ob ihre Aussagebereitschaft auch zu einer Aufenthaltserlaubnis führt, weil die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Ermessen der Ausländerbehörde steht. Den Opfern ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse wird klargemacht, dass man sie so schnell wie möglich wieder loswerden will: sie können zur Ausreise verpflichtet werden, obwohl sie ausstehenden Lohn noch nicht erhalten haben. Und wenn sie bleiben dürfen, erhalten sie lediglich abgesenkte Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, obwohl sich strafrechtliche Prozesse wegen Menschenhandel und illegaler Beschäftigung über Jahre hinziehen können. In dieser Zeit können die Betroffenen damit auch kaum therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. DIE LINKE fordert ein bedingungsloses Bleiberecht für diese Menschen und ihre Familien. Sie dürfen nicht ein zweites Mal zu Opfern werden, indem man sie für Strafprozesse instrumentalisiert!
Noch weitaus erschreckender ist die Umsetzung der Abschieberichtlinie durch die Koalition. Zunächst will ich folgendes vorausschicken: DIE LINKE lehnt die Abschiebehaft weiterhin grundsätzlich ab. Sie dient ausschließlich der Durchsetzung einer Verwaltungsmaßnahme, der Ausreisepflicht. Eine Inhaftierung von Menschen zu diesem Zweck ist aus unserer Sicht grundsätzlich unverhältnismäßig. Dass sich nach deutscher Rechtslage der Freiheitsentzug über 18 Monate hinziehen kann, ist inakzeptabel. Diese Höchstgrenze für Abschiebehaft von 18 Monaten aber hat die Bundesregierung auf EU-Ebene durchgesetzt, um an unverhältnismäßig langen Haftzeiten auch in Deutschland festhalten zu können.
Allerdings enthält die Abschieberichtlinie auch Vorgaben, die zu wenigen menschenrechtlichen Verbesserungen im Vollzug der Abschiebehaft in Deutschland führen müssten. Der vorliegende Gesetzentwurf setzt diese Vorgaben gar nicht oder ungenügend um. In Teilen verletzt er andere menschenrechtliche Verpflichtungen der Bundesrepublik. Darauf will ich im Folgenden eingehen.
Der Schutz des Kindeswohls wird im vorliegenden Gesetzentwurf schlicht ignoriert. Nach der Rücknahme des Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention darf die Bundesrepublik ausländische Kinder nicht mehr schlechter behandeln als inländische Kinder. Auch für die ausländischen Kinder gilt, dass ihr Wohl im Handeln der Behörden vorrangig beachtet werden muss. Die Abschiebehaft bei Kindern und Jugendlichen ist ein eklatanter Verstoß gegen diesen Grundsatz. Die UN-Kinderrechtskonvention erlaubt eine Inhaftierung Minderjähriger lediglich bei Straftaten und nur als letztes Mittel. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat in einem Gutachten klargestellt: Unbegleitete Minderjährige dürfen nicht in Abschiebehaft genommen werden. Auch für Minderjährige in Begleitung von Erwachsenen gilt diese menschenrechtliche Grenze. Auch die in Deutschland übliche Inhaftierung eines Elternteils, um die Abschiebung der gesamten Familie zu sichern, verletzt die Verpflichtung zum Vorrang des Kindeswohls, so das Gutachten.
Das fehlende Verbot der Inhaftierung Minderjähriger und ihrer Sorgeberechtigten im Gesetzentwurf ist ein menschenrechtlicher Skandal. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Auch die Inhaftierung Kranker und insbesondere psychisch Traumatisierter und anderer besonders schutzbedürftiger Personen muss endlich eindeutig im Gesetzestext untersagt werden.
Es gibt noch einigen weiteren Anpassungsbedarf, um wenigstens dieser „Richtlinie der Schande“, wie sie genannt wurde, genüge zu tun. Die Pflicht zur gesonderten Unterbringung außerhalb von Strafvollzug und Untersuchungshaft muss wirksam und ausnahmslos umgesetzt werden. Die Abschiebehäftlinge müssen kostenlos Zugang zu Rechtsvertretung und –beratung haben. Die Inhaftierung von Asylsuchenden, die üblicherweise kein Visum erhalten und deshalb illegal einreisen müssen, muss wirksam ausgeschlossen werden. Das ist auch eine Anforderung aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der die Bundesrepublik noch nicht nachgekommen ist.
Die Koalition muss im weiteren Gesetzgebungsverfahren wenigstens den Anforderungen der Abschieberichtlinie und der menschenrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik nachkommen. Ungeachtet dessen bleibt DIE LINKE bei ihrer grundsätzlichen Kritik an der Abschiebehaft als Instrument einer restriktiven Migrations- und Flüchtlingspolitik.
Rede wird zu Protokoll gegeben.