Die Law-and-order-Fraktion vor allem der CDU hat seit Sonnabend wieder Oberwasser: Den brutalen Angriff eines 18jährigen auf einen Touristen im Berliner U-Bahnhof Friedrichstraße nutzt sie, um ihre alte Forderung nach einem »Warnschußarrest« wieder auf den Tisch zu holen. Unterstützung kommt von der Boulevardpresse: Die Berliner BZ stellte den Richter, der dem Jugendlichen Haftverschonung gewährte, auf der Titelseite mit großformatigem Foto an den Pranger. Eher versteckt findet sich der Hinweis, daß die Entscheidung juristisch absolut korrekt ist: Der Täter ist nicht vorbestraft, er ist geständig, und es gibt keine Indizien für eine Fluchtgefahr.
Dennoch stellte der Innenexperte der CSU im Bundestag, Hans-Peter Uhl, die Frage, »ob es richtig ist, einen Ersttäter mit einem solchen Gewaltexzeß wieder frei herumlaufen zu lassen und ihn erst möglicherweise Monate später zur Prozeßeröffnung mit staatlichen Sanktionen zu konfrontieren«. Hessens Innenminister Boris Rhein (CDU) wandte sich gegen »Denkverbote« – als ob es die in Fragen der sogenannten Inneren Sicherheit je gegeben hätte.
Günter Krings, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, hatte kurz nach der Attacke im U-Bahnhof angekündigt, die Koalition werde in Kürze einen Gesetzentwurf vorlegen. Justizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger bestätigte das am Dienstag.
Vor allem die CDU will, daß der »Warnschuß« möglichst bald nach einer Tat abgefeuert, die Jugendlichen also in einen mehrwöchigen Arrest gesteckt werden. Eine solch kurze Frist könnte aber mit der rechtsstaatlich abgesicherten Rechtswegegarantie konkurrieren. Die Koalitionsparteien scheinen sich aber darin einig zu sein, daß auch bei einer Bewährungsstrafe zunächst ein Arrest vollstreckt werden soll. Denn Bewährungsstrafen würden mitunter »als Freispruch zweiter Klasse« verstanden, heißt es in einem Papier des Justizministeriums, aus dem die Passauer Neue Presse am Dienstag zitierte. Betroffen sein sollen aber auch Jugendliche, denen bislang zunächst Erziehungsmaßregeln wie zum Beispiel die Arbeit für eine gemeinnützige Einrichtung (Sozialstunden) auferlegt wurden. Unterm Strich ist die Losung klar: Ersttäter sollen häufiger als bisher weggesperrt werden.
Kritik an dieser »Erziehungsmethode« kommt unter anderem vom Deutschen Richterbund. Dessen Vizevorsitzende Andrea Titz sagte der Mitteldeutschen Zeitung vom Mittwoch, sie halte den Warnschußarrest »für wenig zielführend«. Bereits heute seien Jugendhaftanstalten überfüllt. Eine Haftstrafe und damit auch ein Arrest hätten kaum eine abschreckende Wirkung. Der Hannoveraner Kriminologe Christian Pfeiffer bezeichnete die Strafmaßnahme als »sinnlos« und einen »kriminologischen Witz«, weil er erst Monate nach der Tat verhängt werde. Eine abschreckende Wirkung werde damit verfehlt. Pfeiffer forderte statt dessen, mehr Polizisten einzustellen. Die Geschäftsführerin der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, Nadine Bals, nannte die geplante Gesetzesänderung »reine Symbolpolitik, mit der die Politiker zeigen wollten, daß hart durchgegriffen« werde.
Die Linksfraktion im Bundestag kritisierte die »unsachlichen Reflexe« der Regierungsfraktionen. »Knast macht aus gewalttätigen Jugendlichen keine besseren Erwachsenen«, so die Fraktion in einer Presseerklärung. Aus der SPD-Bundestagsfraktion verlautete, das bestehende Instrumentarium reiche aus.
erschien: junge Welt 28.4.2011