Die NPD nutzt das Parlament als Bühne für ihre Provokationen und als Möglichkeit, an Steuergelder zur Einrichtung von Mitarbeiterstellen für ihre Kader zu kommen. Doch primär für den Parteiaufbau und die Verankerung ist eine »nationale Graswurzelarbeit« in Vereinen und Kommunen.
Gas geben« heißt es kaum zweideutig auf Plakaten der neofaschistischen NPD zu den Berlinwahlen am 18. September, die unter anderem in der Nähe des Holocaust-Mahnmals und des jüdischen Museums hängen. Auch sonst macht die Partei aus ihrer Gesinnung keinen Hehl. Der »etwas aus der Mode gekommene« deutsche Vorname, nach dem die Partei in einem Kreuzworträtsel ihrer Wahlkampfzeitung sucht, lautet wie leicht zu erraten »Adolf«. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat dem Rundfunk Berlin-Brandenburg beschieden, einen Wahlwerbespot der NPD nicht ausstrahlen zu müssen. Der Film erfülle den Tatbestand der Volksverhetzung und sei geeignet, den öffentlichen Frieden zu gefährden, so das Gericht. Die NPD greife darin die Menschenwürde in Berlin lebender Ausländer, insbesondere von Muslimen, an. Diese werden böswillig verächtlich gemacht, indem suggeriert werde, daß Ausländer stets kriminell seien und Gewalttaten gegen Deutsche begingen. Provokation ist Wahlkampfstrategie der NPD, die angesichts der extrem-rechten Konkurrenz durch die Islamhasserparteien »Pro Deutschland« und »Die Freiheit« um ihre wenigen kommunalen Mandate in der Hauptstadt bangen muß.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz und der Bundesinnenminister sahen die NPD im Sommer in einer Krise. Die zu Jahresende 2010 publicityträchtig angekündigte Fusion mit der Deutschen Volksunion DVU liegt nach dem gerichtlichen Einspruch aus einzelnen DVU-Landesverbänden vorerst auf Eis. Einen Zuwachs an aktiven Mitgliedern durch die vornehmlich aus überalterten Karteileichen bestehende DVU konnte sich die NPD sowieso kaum erhoffen. Die finanziell seit längerem angeschlagene Partei muß aufgrund eines Urteils des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom Mai eine Strafe von 2,5 Millionen Euro zahlen, weil sie in ihrem Rechenschaftsbericht von 2007 Gelder aus der staatlichen Parteienfinanzierung nicht korrekt angegeben hatte. Die als aussichtsreich erachteten Landtagswahlen in Bremen und Sachsen-Anhalt führten nicht zum Einzug in ein weiteres Landesparlament. Sollten auch die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nicht das gewünschte Ergebnis bringen, könnten die seit langem schwelenden Richtungskämpfe zwischen den Krawattenfaschisten des »sächsischen Weges« und den Straßenkämpfern aus der Kameradschaftsszene wieder heftig aufbrechen.
Doch die NPD verfügt immer noch über bis zu 7000 Mitglieder und rund 300 vor allem kommunale Mandatsträger. Auch die Schlägertrupps in ihrem Umfeld sind weiterhin aktiv. So verzeichnete der Verfassungsschutzbericht zwar bundesweit einen Rückgang von rechtsextremer Gewalt um 14,5 Prozent, doch in den ostdeutschen Hochburgen der Neonazis gab es demnach einen Zuwachs solcher Gewalttaten von 4,8 Prozent. Zudem ereignen sich 40 Prozent dieser Delikte in den sogenannten neuen Bundesländern, obwohl hier nur 15 Prozent aller Einwohner Deutschlands leben. Die NPD fördert durch ihre Hetze Gewalttaten gegen Linke, Schwarze, Schwule, Juden und andere Bevölkerungsgruppen, warnt das Internetportal NPD-Blog.Info. »Und sie bietet Neonazis eine feste Infrastruktur, Arbeitsplätze sowie Zugang zu Informationen über Parlamente. Zudem ist die NPD fest mit rechtsextremen Subkulturen vernetzt– und versucht so, kulturellen Einfluß zu erlangen. Die NPD ist daher nicht ausschließlich an Wahlergebnissen zu messen, sondern sie dient dem ›Nationalen Widerstand‹ als Dachorganisation.«
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Landtagsfraktion von Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, warnt zudem vor einer Selbsttäuschung der Parlamentarier, die sich rühmen, die NPD in über 120 Landtagssitzungen isoliert, vorgeführt, gar »besiegt« zu haben. So gerate aus dem Blick, daß die NPD im Parlament gar nicht gewinnen will, sondern in der Feuerwehr, im Dorf, in der Schule. Denn tatsächlich hat die NPD zum Parlamentarismus, den sie überwinden will, ein rein taktisches Verhältnis. Sie nutzt das Parlament als Bühne für ihre Provokationen und als Möglichkeit, an Steuergelder zur Einrichtung von Mitarbeiterstellen für ihre Kader zu kommen. Doch primär für den Parteiaufbau und die Verankerung ist eine »nationale Graswurzelarbeit« in Vereinen und Kommunen.
Eine Analyse der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung zu »Nazis in Parlamenten« widerlegt die von Parteienforschern nach rechten Wahlerfolgen routinemäßig verkündete Einschätzung, die NPD stütze sich vornehmlich auf Protestwähler, die den etablierten Parteien einen Denkzettel verpassen wollten. In Sachsen etwa habe sich eine »relativ gefestigte Wählerschaft der NPD herausgebildet«, die zwischen vier und sechs Prozent liegt. Dort, wo die Nazis bereits einmal bei Wahlen gut abschnitten, konnten sie weitere Wahlerfolge verbuchen, die von Skandalen ihrer Mandatsträger oder parteiinternen Streitigkeiten kaum beeinflußt wurden. Das zeigt sich deutlich in Sachsen, wo die NPD 2009 das zweite Mal in Folge in ein Landesparlament einzog und die Zahl ihrer kommunalen Mandate kontinuierlich von acht im Jahr 1999 auf 74 im Jahr 2009 steigern konnte.
Während die Partei auf Plakaten »Kriminelle Ausländer ausweisen« fordert, höhnt die antifaschistische Comicfigur »Storch Heinar« auf Plakaten in Mecklenburg-Vorpommern »Kriminelle Inländer einweisen«. Dies bezieht sich auf das Vorstrafenregister vieler NPD-Funktionäre. So verurteilte das Amtsgericht Bergen den NPD-Direktkandidaten für den Wahlkreis Rügen 1, Tony Lomberg, im August zu 14 Monaten Haft auf Bewährung wegen gefährlicher Körperverletzung. Weitere Verfahren gegen Lomberg wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung sind laut einem NDR-Bericht anhängig. Wenige Tage vor Lomberg war NPD-Landesvorstandsmitglied Sven Krüger wegen erwerbsmäßiger Hehlerei und illegalem Waffenbesitz zu über vier Jahren Haft verurteilt worden. Der Abbruchunternehmer, bei dem die Polizei ein Maschinengewehr, eine Pistole und Munition fand, hatte trotz zahlreicher Vorstrafen bis zur Anklageerhebung für die NPD im Kreistag von Nordwestmecklenburg gesessen.
Die Hoffnung auf eine Selbstzerstörung der NPD ist unrealistisch. Dazu trägt auch die staatliche Beihilfe für die Neonazis bei. Die NPD kommt nicht nur in den Genuß der staatlichen Parteienfinanzierung, sondern sie kann sich auch auf ein dichtes Netzwerk von Verfassungsschutzagenten in ihren Reihen stützen. Offiziell sollen die V-Männer lediglich Informationen sammeln, doch wie nicht zuletzt das erste NPD-Verbotsverfahren 2003 ergab, handelt es sich hier vielfach um Nazihetzer, die von Steuergeldern finanziert aktiv den Aufbau der Nazipartei vorantreiben. 2003 gehörte jeder sechste Funktionär der NPD dem Verfassungsschutz an, so daß das Bundesverfassungsgericht der Partei eine »mangelnde Staatsferne« bescheinigte, an der das Verbot scheiterte. Während die Innenminister von CDU/CSU mit ihrer Weigerung, die V-Leute des Geheimdienstes in den NPD-Gremien abzuschalten, weiterhin ein NPD-Verbot sabotieren, wird ein solches von einer Mehrheit der Bundesbürger befürwortet. Ein NPD-Verbot würde die Neonazis nicht vom Erdboden verschwinden lassen, doch es würde die faschistische Szene erheblich schwächen. Ihre Demonstrationen ließen sich leichter verbieten, da sie dann nicht mehr dem Parteienprivileg unterliegen. Ein Verbot würde deutlich machen, daß Faschismus eben keine normale Meinung ist. Und es würden keine Steuergelder mehr für menschenverachtende Hetze wie die »Gas geben«-Plakate in Berlin geben.
erschien in antifa – Beilage der jungen Welt am 7.9.2011