Vom 12. bis 16. September verhandelt der Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag über eine Klage der BRD gegen Italien, um Entschädigungsansprüche von Opfern des Faschismus abzuwehren. Das Verfahren ist letztlich das Ergebnis schwerer Versäumnisse Deutschlands. Entschädigung haben immer nur solche Opfer erhalten, die ausreichend öffentlichen Druck machen konnten. Das waren zuletzt die Zwangsarbeiter, die mit Klagen vor US-Gerichten drohten, weswegen die Bundesregierung Ende der 1990er Jahre schließlich einem Stiftungsgesetz zustimmte, das für Zehntausende Betroffene insgesamt fünf Milliarden Euro bereitstellte. Ausgeschlossen blieben Kriegsgefangene, die Zwangsarbeit leisten mußten. Strittig war aber der Fall der sogenannten Italienischen Militärinternierten (IMI): Das waren Soldaten, die nach dem Ausscheiden Italiens aus dem Bündnis mit Nazideutschland interniert und denen ausdrücklich die Rechte von Kriegsgefangenen abgesprochen worden waren. Nachdem ihre Klagen vor deutschen Gerichten gescheitert waren, haben italienische Gerichte in den letzten Jahren entschieden, daß Deutschland zu Entschädigungen verpflichtet sei.
Im Haager Verfahren geht es außerdem um Betroffene bzw. Hinterbliebene von Wehrmachtsmassakern. In Italien haben deutsche Truppen vor allem im Jahr 1944 äußerst brutale Abschreckungs- und Vergeltungsaktionen durchgeführt, da ihr Rückzug von Partisanenverbänden immer stärker gestört wurde. Tausende Zivilisten wurden getötet, Entschädigungen sind von Deutschland aber nie gezahlt worden. Hinzu kommt eine Gruppe griechischer Kläger aus dem Dorf Distomo: Dort hatte die SS am 10. Juni 1944 fast alle Bewohner umgebracht. In Griechenland erhielten sie 28 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen. Die Vollstreckung dieses Urteils streben sie nun in Italien an.
In keinem dieser Fälle will Deutschland zahlen. Man habe im Jahr 1961 eine »Globalentschädigung« über 40 Millionen D-Mark an Italien überwiesen, und das müsse reichen, argumentiert die Regierung. Italienische Gerichte haben deswegen angeordnet, was im Falle zahlungsunwilliger Schuldner üblich ist: Die Pfändung deutschen Staatseigentums in Italien. Betroffen sind Grundstücke, Häuser, unter Umständen auch Gelder der Deutschen Bahn.
Gegen diese Rechtsprechung geht die Bundesregierung nun vor dem Internationalen Gerichtshof vor. Im Gegensatz zum Obersten Italienischen Gerichtshof pocht sie darauf, der Grundsatz der »Staatenimmunität« müsse auch bei schwersten Kriegsverbrechen gelten. Bei ihrer Klage erhält sie stillschweigende Unterstützung der italienischen Regierung. Beide wissen: Wenn Bürger das Recht erhalten, einen ausländischen Staat wegen massiver Verbrechen zu verklagen, dann beträfe dies auch ihre gegenwärtige Kriegspolitik.
Weitere Informationen: www.nadir.org/nadir/initiativ/ak-distomo/
erschien in Antifa – Beilage der jungen Welt am 7.9.2011