Rede zu TOP 26 der 136. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages zu Anträgen der Fraktion DIE LINKE 17/7459 und der Fraktion Die Grünen 17/7463
Weiterhin gibt es 87000 Menschen in der Bundesrepublik, deren Aufenthalt lediglich geduldet wird. 60 Prozent dieser Menschen leben bereits seit sechs Jahren und mehr in Deutschland. Unter ihnen befinden sich annähernd 10000 Roma aus den Nachfolgestaaten Jugoslawiens, denen in ihren Herkunftsstaaten massive Ausgrenzung und Diskriminierung drohen. Tausende kommen aus Syrien, dem Irak und weiteren Staaten, deren Regierungen ihren Bürgern keine Sicherheit geben wollen oder können.
Neben der Lage in den Herkunftsländern ist für uns ein anderer Punkt von entscheidender Bedeutung. Egal, ob diese Menschen nun die deutsche Sprache beherrschen oder in den Arbeitsmarkt integriert sind, sie sind faktisch verwurzelt, sie haben sich in Deutschland eingelebt. Das gilt in besonderem Maße für die Kinder und jungen Heranwachsenden, die immerhin ein Drittel aller Geduldeten ausmachen. Im Sommer wurde eine Regelung für besonders gut integrierte Jugendliche geschaffen. Für ihre Eltern gilt aber weiterhin: können sie keinen eigenständigen Lebensunterhalt nachweisen, bleiben sie in der Duldung und müssen mit Abschiebung rechnen, wenn die Kinder volljährig sind. Dass viele Familien auf dieses vergiftete Geschenk verzichten, verwundert daher nicht.
Die im Sommer in Kraft getretene gesetzliche Bleiberechtsregelung für gut integrierte Jugendliche war die letzte in einer langen Reihe von Regelungen, mit denen langjährig Geduldeten ein Aufenthaltstitel verschafft werden sollte. Seit 2006 ist fast kein Jahr ohne neue Bleiberechtsregelung ausgekommen. 2006 gab es einen Beschluss der Innenminister, 2007 eine gesetzliche Regelung, 2009 folgte ein weiterer Beschluss der Innenminister. All diese Beschlüsse sind nur unter dem großen Druck von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden entstanden. Sie haben, das wollen wir nicht bestreiten, vielen Menschen auch einen sicheren Aufenthaltsstatus gebracht. Zugleich sind parallel zur diesen Altfallregelungen wieder neue Duldungen entstanden. Der Anteil der langjährig Geduldeten an der Gesamtzahl aller Menschen mit einer Duldung stieg zwischenzeitlich sogar auf 64 % und liegt heute bei 59 %. Das heißt, dass für die Betroffenen von Kettenduldungen die Gefahr groß ist, über viele Jahre hinweg in diesem unsicheren Status gefangen zu bleiben.
Eine neue, gesetzliche Regelung zu beschließen, ist von großer Dringlichkeit. Denn mit der gesetzlichen Altfallregelung von 2007 wurde die so genannte Aufenthaltserlaubnis auf Probe eingeführt. Wer bis zu einem Stichtag keinen eigenständigen Lebensunterhalt, aber immerhin Bemühungen um eine Beschäftigung nachweisen konnte, erhielt diesen neuen Aufenthaltstitel. Kaum einer schaffte es aber, in die reguläre Aufenthaltserlaubnis zu wechseln. Deshalb haben dann die Innenminister der Länder und des Bundes 2009 entschieden, dass für die über 30000 Betroffenen auch eine Verlängerung um zwei Jahre möglich sein soll. Diese zwei Jahre laufen Ende des Jahres ab. Darum besteht dringender Handlungsbedarf, um ein erneutes Abgleiten dieser Personengruppe in die Duldung und die letztliche sogar die Abschiebung zu verhindern.
Die Einführung einer so genannten Probe-Aufenthaltserlaubnis und die Verlängerung dieses Aufenthaltstitels werten wir als Eingeständnis der Unionsparteien und der FDP, das mit dem Festhalten am Erfordernis der eigenständigen Lebensunterhaltssicherung eine befriedigende Lösung nicht erreicht werden kann. Die Betroffenen sind jahrelang bewußt vom Arbeitsmarkt ferngehalten worden. Die Beschäftigungsverhältnisse, die ihnen offenstehen, sind meist nicht existenzsichernd. Davon sind mittlerweile auch weit über eine Million Bundesbürger betroffen, die ihren Verdienst mit Hartz IV-Leistungen aufstocken müssen, um von ihrer Arbeit leben zu können.
Die Lösung dieser Probleme – Entstehung neuer Kettenduldungen durch Stichtage und zu hohe Anforderungen an die Lebensunterhaltssicherung – kann nur in einer einfachen und stichtagsungebundenen Bleiberechtsregelung bestehen. Dafür wollen wir ein gesetzliches Bleiberecht für all jene schaffen, die sich seit fünf Jahren geduldet, in einem Asylverfahren oder als Bürgerkriegsflüchtlinge in Deutschland befinden. Für Familien, Kinder, Traumatisierte und weitere Härtefälle sollen auch kürzere Fristen gelten. Bis zum Inkrafttreten einer neuen gesetzlichen Regelung fordern wir Übergangsbestimmungen zur Verlängerung der geltenden Aufenthaltstitel. Damit soll verhindert werden, dass Menschen abgeschoben werden, die möglicherweise in den Genuss der neuen Bleiberechtsregelung kommen könnten.
(Rede nach Vereinbarung der Fraktionen zu Protokoll gegeben)