Anlässlich der Kriegskonferenz auf dem Bonner Petersberg erklärt Jelpke zum Aufbau angeblicher Sicherheitskräfte am Hindukusch weiter:
„Menschenrechtsorganisationen berichten, dass afghanische Polizisten und Milizen die Bevölkerung auf den Landstraßen ausrauben, in Häuser eindringen, die Bewohner schlagen, das Eigentum stehlen, die Frauen vergewaltigen und damit ungeschoren davonkommen. Der Aufbau dieser Polizei bringt keine Sicherheit, sondern verbreitet Angst und Schrecken. Diese Sicht teilen auch afghanische Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler sowie internationale Menschenrechtsorganisationen.
Vor allem die USA setzen bei ihrem Versuch, das schmutzige Kriegshandwerk anderen zu überlassen, auf den Aufbau von Milizen bzw. die Integration bestehender irregulärer bewaffneter Kräfte in die eigene Strategie. Dafür hat es bereits in der Vergangenheit mehrere, gescheiterte Ansätze gegeben: Etwa die sogenannte Afghanische Hilfspolizei ANAP. Die wurde nach einem Jahr wieder aufgelöst, weil sie sich als unkontrollierbarer, marodierender Haufen erwiesen hatte. Rund 7000 mit Waffen ausgestatteter Männer sind damals „verschwunden“ – zu den Aufständischen, zu kriminellen Organisationen usw.
Dennoch versuchen es die USA weiterhin, mit den phantasievollsten Namen: Critical Infrastructure Protection (CIP), Local Defense Initiative (LDI), Afghan Public Protection Forces (APPF) – der Ansatz ist meist der gleiche: parallel zu den regulären Sicherheitskräften werden irreguläre Einheiten mit Geld und/oder Waffen ausgestattet, um die Aufständischen aus den betreffenden Gebieten zu verdrängen. Die Einheiten zum zum Schutz kritischer Infrastrukturen, sogenannte CIP-Guards, erhalten einen Sold von 140 Dollar monatlich, aber keine Waffen – die haben sie nämlich schon, in der Regel AK 47 (Kalashnikov). Das bedeutet nichts weniger, als dass diese Kräfte zu bereits existierenden Milizen gehören, die jetzt quasi „legalisiert“ werden und nun auch noch vom Westen bezahlt werden.
Auch die sogenannte Lokale Polizei ist kaum besser: Menschenrechtsorganisationen wie Oxfam, Human Rights Watch und andere haben in den letzten Monaten verstärkt darauf hingewiesen, dass diese Einheiten Furcht und Schrecken verbreiten. Erst gestern berichtete Spiegel Online, dass ein ALP-Kommandeur vergangene Woche eine Familie in Kunduz überfiel und die 17jährige Tochter mit Säure übergoss, weil sich die Familie geweigert hatte, ihm die junge Frau als Braut zu geben (http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,801694,00.html).
Dabei handelt es sich eben nicht um Einzelfälle, wie Menschenrechtsorganisationen betonen: Weder ALP noch Milizen sind kontrollierbar, es gibt keine effektiven Beschwerdemechanismen, die Verbrecher genießen Straffreiheit.
Auf dem Papier gibt es Mechanismen, die eine Integration von Verbrechern in die ALP verhindern sollen: Deren Angehörige sollen von lokalen Shuren überprüft und vom afghanischen Innenministerium bestätigt werden. Aber wer prüft, wer die Shuren dominiert und/oder erpresst, und wer prüft, wer im Innenministerium zu den wenigen nicht-korrupten Beamten zählt? Das Problem ist der Bundesregierung sehr wohl bewusst, schreibt sie doch: „Das vorgesehene Verfahren [zu den Sicherheitsüberprüfungen der ALP-Anwärter] wird bzw. wurde in der Praxis oftmals nur mangelhaft oder gar nicht umgesetzt.“
Die Bundesregierung distanziert sich von den Milizen und setzt stattdessen auf den Aufbau der regulären Polizei. Doch deren Ausbildung dauert gerade mal acht Wochen – da kommt keine Kraft heraus, die für Rechtsstaatlichkeit bürgt. Die Bundesregierung agiert nach dem Prinzip „Augen zu und durch“ und wehrt Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch Polizisten mit dem Hinweis ab, es lägen ihre keine konkreten Kenntnisse über Straftaten vor. Damit meint sie wohl, es gebe keine rechtskräftigen Urteile afghanischer Gerichte. Das ist ein alberner Hinweis: Dass afghanische Polizisten für Straftaten nicht zur Verantwortung gezogen werden, ist ja gerade Teil des Problems. Die Bundesregierung verschanzt sich hinter ihrer Standardformulierung, dass die Vermittlung von Menschenrechtsstandards Teil der Ausbildung sei, die deutsche Polizisten in Afghanistan durchführen. Die Frage ist aber, wie viel davon wirklich ankommt und umgesetzt wird. Dies jedoch interessiert die Bundesregierung gar nicht: Sie konzentriert sich ab Anfang kommenden Jahres ausschließlich darauf, in den geschlossenen Trainingszentren theoretische Ausbildung anzubieten. Was die Polizisten in der Praxis tun, überprüft niemand, bzw. es bleibt NGOs überlassen.
Die NATO kommt beim Versuch, afghanische Hilfswillige zu rekrutieren, aus dem Improvisieren nicht heraus. Bis 2024, so wurde es auf der Petersberg-Konferenz jetzt bestätigt, soll Afghanistan weiter „unterstützt“ werden, durch den Aufbau bzw. die Finanzierung der einheimischen „Sicherheitskräfte“. Das Motto des „Übergangs“ lässt sich auf die Formel reduzieren: Die Besatzer zahlen, bluten sollen die Afghanen aber möglichst alleine.
Ich fordere das sofortige Ende des deutschen Polizeiprojektes und stattdessen die Förderung demokratischer Kräfte in Afghanistan.