Wie tief der Antiziganismus – also der Haß auf Sinti und Roma – in Europa verankert sind, hat sich am Wochenende wieder in Italien gezeigt: In Turin gab es eine Demonstration gegen ein Roma-Lager, die in zahlreichen Brandstiftungen mündete. Die Polizei schritt erst ein, als sich der Auslöser des Pogroms, die angebliche Vergewaltigung eines 16jährigen Mädchens durch zwei Roma, als Lüge herausgestellt hatte.
Der Vorfall verdeutlicht, wie aktuell das Thema der am Samstag in Berlin tagenden Konferenz »Willkommen zu Hause? – Situation der Roma in der EU« ist, die gemeinsam von den Linksfraktionen des Bundestages, des Berliner Abgeordnetenhauses und des Europaparlaments sowie der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerichtet wurde: Über Rassismus und Diskriminierung als europaweites Phänomen berichteten Vertreter aus acht europäischen Staaten.
Pogrome gegen Roma und Erfolge rassistischer Parteien sorgen vor allem im Hinblick auf Osteuropa immer wieder für Schlagzeilen und Skandalbilder. Aber auch einige westeuropäische Staaten dulden und befördern Antiziganismus. So berichtete Marie-Christine Vergiat aus Frankreich, Mitglied der GUE/NGL-Fraktion im Europäischen Parlament, daß weiterhin eine rigide Abschiebepolitik gegen die nicht-französischen Roma betrieben wird. Und auch in Deutschland ist Antiziganismus stärker verbreitet, als es auf den ersten Blick scheint. In staatsanwaltlichen Ermittlungen ist weiter von »Zigeunerbanden« die Rede, in der Boulevardpresse ohnehin. Gerade in den Städten, in denen sich mittlerweile Roma aus den osteuropäischen Staaten angesiedelt haben, treffen sie auf scharfe Ablehnung. Mit der Ausstellung »Typisch Zigeuner« wurden am Rande der Konferenz die wichtigsten Vorurteile – sowohl negative wie positiv-romantisierende – gegenüber Sinti und Roma dargestellt.
In den Podiumsgesprächen ging es um den Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und zur Umsetzung der Freizügigkeit für die Bürger Rumäniens und Bulgariens. Bildung wird vielen Roma schlicht verwehrt. In einzelnen Staaten sind es bis zu 40 Prozent der Kinder, die in die Sonderschule abgeschoben werden. In Deutschland geschieht dies mit jedem Zehnten der heute 14- bis 25jährigen, weitere zehn Prozent der Roma-Kinder haben noch nicht einmal die Grundschule besucht. Das liegt zum einen an Diskriminierungen durch Mitschüler und Lehrer, aber auch an den Folgen des deutschen Faschismus: Die heutige Generation der Großeltern hat während der Naziherrschaft und auch in den Jahren danach keinerlei Schulbildung erhalten, und sie hat die Traumatisierungen durch KZ-Haft und Vernichtungslager teilweise an die Folgegenerationen weitergegeben. Das wirkt sich bis heute in Mißtrauen gegenüber Behörden aus. Auch Costel Bercus, Vorsitzender des Roma Education Fund, appellierte an die historische Verantwortung der europäischen Staaten gegenüber den Roma.
Deutliche Unterschiede zur Mehrheitsbevölkerung bestehen auch bei der Beschäftigung. Während in der Bundesrepublik im Schnitt 20 Prozent der Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt sind, sind es bei Arbeitsmigranten aus Osteuropa 30, bei Frauen sogar über 40 Prozent. Davon sind besonders Roma betroffen.
Mehrere der fast 200 Teilnehmer der Konferenz machten deutlich, daß zumindest im deutschen Kontext Zugang zu Bildung ein fast nachrangiges Problem ist. Ein Teilnehmer brachte es auf den Punkt: Was nutzt das Recht auf Schulbesuch, wenn einer nicht weiß, ob er morgen noch in Deutschland sei oder im Abschiebeflieger nach Pristina sitze? Der Kampf gegen die Abschiebung der noch rund 10000 in Deutschland lebenden Roma aus dem Kosovo war deshalb das beherrschende Thema der Konferenz, die die Vernetzung von Betroffenen und Aktivisten in diesem Bereich noch einmal vertieft hat. In dieser Hinsicht war die Konferenz ein voller Erfolg.