Rede zu TOP 16 der Sitzung des 17. Deutschen Bundestages, Beratung des Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Für wirksamen Rechtsschutz im Asylverfahren – Konsequenzen aus den Entscheidungen des Gerichtshofs der Europäischen Union und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ziehen“ auf 17/8460
Wir beraten heute einen Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, in dem die Wiederherstellung des effektiven Rechtsschutzes in Asylverfahren gegen eine Zurücküberstellung in einen anderen Mitgliedsstaat der Europäischen Union gefordert wird. 2007 wurde bekanntlich die aufschiebende Wirkung solcher Rechtsmittel gesetzlich ausgeschlossen. Die Bundesregierung argumentiert, dass Gerichte ungeachtet dessen in vielen Fällen vorläufigen Schutz gewähren würden. In der Praxis erhalten Asylsuchende allerdings häufig erst kurz vor oder sogar während ihrer Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat die Mitteilung über die anstehende Überstellung. Faktisch ist ihnen dann die Anrufung eines Gerichts gar nicht mehr möglich, wenn sie bereits auf der gangway zum Flugzeug stehen. Diese massive Einschränkung des Rechtsschutzes in Überstellungsverfahren wurde von der LINKE-Fraktion im Bundestag schon immer scharf kritisiert. Die CD/CSU verteidigt diese Regelung jedoch als Herzstück des Asylkompromisses von 1993. Von ihr wird immer wieder in schillernden Farben die drohende Flut von Asylsuchenden an die Wand gemalt. Das ist eine populistische Stimmungsmache, die wir klar zurückweisen!
Die Bundesrepublik hat mit dem Dubliner Übereinkommen ihre so genannte Drittstaatenregelung erfolgreich exportiert. Asylsuchende müssen in der EU dort ihr Asylverfahren betreiben, wo sie zuerst die EU betreten haben. Die Harmonisierung des Asylrechts hat bislang jedoch noch nicht dazu geführt, dass in allen EU-Staaten auch nur annähernd gleiche Standards in den Asylverfahren gelten und es eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung der Schutzsuchenden gibt, im Gegenteil. Beispiele gibt es zuhauf. In Griechenland und Italien herrschen zum Teil unmenschliche Zustände in den Aufnahmeeinrichtungen, viele Schutzsuchende und selbst anerkannte Flüchtlinge leben auf der Straße. Asylanträge werden pauschal abgelehnt oder gar nicht erst angenommen. Auch in Ungarn wächst die Kritik an den Zuständen im Asylsystem, so haben beispielsweise Asylsuchende aus Syrien keine Chance auf Anerkennung – selbst, wenn sie aus der Armee desertiert sind und ihnen bei der Rückkehr sogar die Todesstrafe droht.
Vor diesem Hintergrund hat der Europäische Gerichtshof im Dezember eine wichtige und bahnbrechende Entscheidung getroffen. Die EU-Staaten dürfen nach dieser Entscheidung nicht mehr pauschal davon ausgehen, dass alle anderen Mitgliedsstaaten die Grundrechte von Asylsuchenden achten. Ein Asylbewerber dürfe nicht in einen anderen EU-Staat überstellt werden, wenn ihm dort unmenschliche Behandlung droht. Der Europäische Gerichtshof schließt sich damit einer Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an, der Belgien wegen der Überstellung eines irakischen Asylsuchenden nach Griechenland verurteilt hatte. Bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte den ungenügenden Rechtsschutz in solchen Überstellungsverfahren kritisiert. Nach dieser Entscheidung des EuGH ist der viel beschworene Asylkompromiss bereits obsolet! Die unwiderlegliche Annahme „sicherer Staaten“ und der Ausschluss effektiven Rechtsschutzes ist mit EU-Recht unvereinbar – Punktum!
Eine Änderung des deutschen Asylverfahrensrechts ist nach der Entscheidung des EuGH mehr als überfällig. Die Bundesregierung hat aber bislang immer noch nicht erklärt, wie sie mit diesem Urteil umgehen will. Ich weise darauf hin, dass die Urteile des EuGH bindendes Recht in allen Staaten sind. Auch jetzt schon müssen also die Behörden prüfen, ob bei einem Dublin-Fall die Gefahr besteht, dass die Grundrechte eines Betroffenen bei einer Rücküberstellung verletzt werden. Diese Überprüfung muss auch durch Gerichte durchgeführt werden können, und dafür muss der Ausschluss von vorläufigem Rechtsschutz in Dublin-Verfahren gesetzlich wieder in vollem Umfang hergestellt werden. DIE LINKE schließt sich in diesem Sinne der Forderung der Grünen-Fraktion an, die Bundesregierung zur Vorlage eines entsprechenden Gesetzentwurfes aufzufordern. Die Bundesregierung muss aber auch darüber hinaus aktiv werden. In den Verhandlungen über die Neufassung der Asyl-Verfahrensrichtlinie der EU muss ebenfalls ein Rechtsschutz für Asylbewerber in Dublin-Verfahren verankert werden. Darüber hinaus muss das ganze Asylsystem der EU grundsätzlich neu geordnet werden, um das Hin- und Herschieben von Schutzsuchenden zu beenden und allen Asylbewerbern in der EU ein faires Asylverfahren und eine menschenwürdige Aufnahme zu garantieren.
(Die Rede wurde nach Verabredung der Fraktionen zu Protokoll gegeben.)