Anfang diesen Jahres wurden bundesweit 160 Neofaschisten mit Haftbefehl gesucht. Das teilt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion mit. Nach der offiziellen Zählweise lag allerdings nur bei 50 dieser Personen dem Haftbefehl eine »politisch rechts motivierte Straftat zugrunde«. Ein kurzer Blick in das Dokument zeigt jedoch, daß die Statistik schöngerechnet ist.
Nach dem Auffliegen der Nazi-Terrorzelle im November vorigen Jahres mußte das Bundeskriminalamt (BKA) im Innenausschuß des Bundestages zugeben, daß es keinen Überblick hat, gegen wieviele Nazis ein offener Haftbefehl vorliegt. Auf Druck der Abgeordneten hat das BKA mittlerweile gemeinsam mit den Ländern aus sämtlichen 144107 offenen Haftbefehle jene Personen herausgefiltert, die in Polizeidateien als rechts motivierte Straf- oder Gewalttäter ausgewiesen sind. Zudem wurden jene aufgeführt, deren Haftbefehl sich auf eine explizit politisch motivierte Straftat bezieht. Gezählt wurden sowohl Haftbefehle zur Vollstreckung als auch zur U-Haft. Dateien der Geheimdienste wurden nicht herangezogen. Die Sicherheitsbehörden unterscheiden die zugrundeliegenden Straftaten in politisch motivierte und »sonstige« Kriminalität. Das trägt dem Umstand Rechnung, daß nicht jede Straftat eines Nazis gleich eine »typisch« neofaschistische ist, etwa wenn er wiederholt ohne Fahrschein in der Straßenbahn erwischt wird und das Bußgeld nicht bezahlt.
In mehreren Fällen allerdings ist die polizeiliche Einschätzung der Straftaten als »unpolitisch« extrem fragwürdig. Besonders eklatant ist dies bei einem Täter der Fall, den die Staatsanwaltschaft Hallstadt wie folgt beschreibt: »Die gesuchte Person griff eine andere Person (türk. Herkunft) mit beiden Händen am Hals und würgte sie. Nach der Befreiung des Zeugen beleidigte die gesuchte Person diesen mit ›so was wie Ihr gehört vergast‹.« Die Staatsanwaltschaft wertet diese Tat nicht als politisch motiviert. Ebenfalls unter »sonstige Kriminalität« verbucht, wird eine Kombination aus »gefährliche Körperverletzung mittels Luftpistole/Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Hitlergruß«. Insgesamt werden elf Fälle von Volksverhetzung und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen als »unpolitisch« eingestuft. »Wie kann es unpolitisch sein, wenn ein polizeilich bekannter Nazi den Hitlergruß zeigt?«, fragte die Linksfraktion in einer Pressemitteilung vom Donnerstag. Es sei skandalös, daß die Sicherheitsbehörden in Deutschland auch nach Bekanntwerden der Morde durch die NSU-Bande weiterhin den Rechtsextremismus verharmlosten und die Statistik manipulierten. Die Linksfraktion erneuerte ihre Forderung nach einer unabhängigen Beobachtungsstelle gegen rechte Gewalt.
Nachlässig im Kampf gegen rechte Straftäter zeigt sich die Bundesregierung auch hinsichtlich einer etablierten Nazi-»Subkultur« in Strafvollzugsanstalten. Inhaftierte Neonazis organisieren sich dort in Cliquen, um eigene Anhänger bei der Stange zu halten, neue Kameraden zu gewinnen und andere einzuschüchtern. Der Bundesregierung ist nach eigenen Angaben bewußt, »daß zumindest in einzelnen Justizvollzugsanstalten entsprechende Subkulturen bestehen«. Deren Bekämpfung wird aber den Anstaltsleitungen bzw. den jeweiligen Bundesländern überlassen. Nach kriminologischen Forschungsberichten geht das Land Brandenburg davon aus, daß 25 bis 30 Prozent der Insassen von Jugendstrafanstalten dem neofaschistischen Spektrum zuzuordnen sind, in Sachsen-Anhalt bis zu 20 Prozent. Die offenkundige Gefahr liegt neben dem Terror gegenüber Mithäftlingen darin, daß gerade Jungnazis noch weiter radikalisiert, statt resozialisiert werden. Die vorhandenen Angaben stammen allerdings aus dem Jahr 2003. Neuere Erkenntnisse gibt es nicht. Eine Absicht, die vorhandenen Wissenslücken zu schließen, hat die Bundesregierung bisher nicht gezeigt.
Nach jahrelangen Debatten um ein »Abschalten« der V-Leute in Führungspositionen der NPD, hatte am Mittwoch auch der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann (CDU) seinen Widerstand aufgegeben. Die Landesinnenminister verständigten sich darauf, zehn der vermutlich 120 V-Leute in der NPD abzuschalten. SPD-Innenpolitiker Sebastian Edathy verurteilte den Einsatz von V-Leuten als »Lebensversicherung für die NPD«. Petra Pau von der Linksfraktion im Bundestag bezeichnete den Beschluß als »halbherzig«. Sämtliche V-Leute seien »aktive Rechtsextremisten«, die Zusammenarbeit mit ihnen solle beendet werden.