Am Dienstag kündigte die EU-Kommission an, daß der Ombudsmann der EU die Umsetzung von Grundrechten durch die Grenzschutzagentur Frontex untersuchen werde. In der Mission zur Abwehr von Flüchtlingen agieren Einheiten verschiedener EU-Staaten, darunter auch deutsche Polizisten. Erst Anfang des Monats kam es in Griechenland zu Schüssen durch Frontex-Beamte auf Flüchtlinge. Seit 2009 sei die Grundrechtecharta der EU bindend für deren Arbeit. Von verschiedenen Menschenrechtsorganisationen werde allerdings bezweifelt, daß sich Frontex an die Regeln halte. Bis zum 31. Mai muß die Agentur nun zu den Fragen des Ombudsmanns P. Nikiforus Diamandouros Stellung nehmen.
Die Fragen beziehen sich im wesentlichen auf die Verankerung von Menschenrechtsverpflichtungen in der neuen Frontex-Verordnung, die im Dezember 2011 in Kraft getreten ist. Gegen den Willen der EU-Staaten wurde die Agentur auf Drängen des EU-Parlamentes verpflichtet, eine eigene Menschenrechtsstrategie vorzulegen, einen Verhaltenskodex für alle Operationen einzuführen, einen Menschenrechtsbeauftragten zu installieren und schließlich Operationen abzubrechen, wenn der einsatzführende Staat Verpflichtungen aus der Grundrechtecharta oder dem Flüchtlingsschutz verletzt. Der Ombudsmann will nun wissen, wie diese Punkte umgesetzt werden sollen.
Der Zeitpunkt, diese Untersuchung zu starten, hätte nicht besser gewählt werden können. Denn zwei Wochen vor dem Schreiben Diamandouros’ an den Frontex-Exekutivdirektor Ilkka Laitinen hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), der die Umsetzung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) überwacht, eine bahnbrechende Entscheidung gefällt. Demnach sind Beamte aus den EU-Staaten immer an die Konvention gebunden, egal ob sie sich auf eigenem Hoheitsgebiet oder etwa auf hoher See befänden. Im konkreten Fall hätte Italien Bootsflüchtlinge, die von Libyen aus in See gestochen waren, nicht zur Rückkehr zwingen dürfen. Das Verbot, Menschen in eine Situation zurückzuweisen, in denen ihnen eine Verletzung ihrer Rechte droht (Refoulement-Verbot), endet demnach nicht an den Grenzen der EU, sondern es gilt auch auf hoher See.
Doch die EU-Innenminister ficht das nicht an. Sie trafen sich am 8. März in Brüssel, wo das Urteil des EGMR keine Rolle spielte. Im Gegenteil: Eine Gruppe von acht Staaten unter Führung Deutschlands und Frankreichs formulierte einen scharfen Text zu den »Herausforderungen durch sekundäre Migration« in der EU, also der Weiterreise »illegaler« Migranten aus ihrem Ersteinreisestaat. Recht unverhohlen wurde darin gefordert, daß Grenzkontrollen wieder eingeführt werden dürfen, wenn ein Mitgliedsstaat die eigenen Außengrenzen nicht ausreichend gegen »illegale« Migration sichert. Diese Forderung richtet sich ganz klar gegen Griechenland. Mit der Reisefreiheit der Griechen in die anderen EU-Staaten wäre es dann vorbei. Daß Griechenland seinen Verpflichtungen nur nachkommen könnte, wenn es massenhaft gegen das Refoulement-Verbot verstößt, wird in dem zehnseitigen Papier mit keiner Silbe erwähnt. Statt dessen sollen die Aktivitäten von Frontex zur Sicherung der Außengrenzen verstärkt werden.