Rede zu TOP 23 der 172. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages, Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE „Berichts- und Zustimmungspflicht für Amtshilfe und Unterstützungsleistungen der Bundeswehr im Inneren“ BT-Drs. 17/4884
Das haben wir ganz deutlich beim Heiligendamm-Einsatz der Bundeswehr im Jahr 2007 festgestellt, als beim G8-Gipfel weit über 1000 Bundeswehrsoldaten, Kampfflugzeuge und Spähpanzer gegen Demonstranten eingesetzt wurden.
Aus unserer Sicht war das ein verfassungswidriger Inlandseinsatz. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage offen gelassen. Offenkundig wird jedoch, dass es hier eine Kontroll-Lücke im Bereich der inneren Verwendungen der Bundeswehr gibt,.
Im Moment kann die Bundesregierung Amtshilfeersuchen anderer Behörden nach eigenem Gutdünken erfüllen oder ablehnen. Das Parlament wird weder gefragt, noch wird es überhaupt darüber informiert. Da kann ein Militäreinsatz noch so politisch brisant sein, wie jener in Heiligendamm – die Abgeordneten und die Öffentlichkeit erfahren nichts davon, bis zur letzten Minute, bis er dann konkret durchgeführt wurde.
Diese Kontroll-Lücke will DIE LINKE schließen: Die Bundesregierung soll jeweils vor einem solchen Einsatz mitteilen, wann und wo er stattfinden soll, wie viele Soldaten eingeplant sind und was sie genau machen werden. Wenn der Bundestag zum Schluss kommt, dass er diesen Einsatz aus politischen oder rechtlichen Gründen ablehnt, muss er das Recht haben, ihn zu unterbinden oder seinen Abbruch zu erwirken. Ich bin mir sicher: Der Heiligendamm-Einsatz wäre nicht durchgeführt worden, hätte er vorher mitgeteilt werden müssen.
Es geht aber nicht nur um den Heiligendamm-Einsatz. Die LINKE erkundigt sich seither jedes Quartal nach durchgeführten und beantragten Maßnahmen. Die Antworten der Bundesregierung zeigen eindeutig, dass die Zahl der Amtshilfeeinsätze in den letzten Jahren rasant nach oben gestiegen ist. Ende der 1990er Jahre gab es eine einzige solche Maßnahme pro Jahr. In unserer Antragsbegründung nennen wir den Stand des Jahres 2009. Da waren es schon 44. Im Jahr 2010 wurde die bisherige Höchstmarke mit 71 erreicht, im vorigen Jahr waren es 68.
Es liegt ja auf der Hand, dass diese Zunahme nicht an Sachzwängen liegt. Niemand in diesem Haus wendet sich dagegen, dass Bundeswehrsoldaten, wenn es Not tut, bei der Abdichtung von Deichen helfen. Aber Hilfe bei Katastrophen, und dazu zähle ich jetzt auch solche Fälle wie das Entschärfen von Weltkriegs-Blindgängern, macht weniger als ein Drittel dieser Einsätze aus.
Ansonsten handelt es sich entweder um prestigeträchtige Maßnahmen wie Hilfe bei Sportveranstaltungen, oder um Unterstützungsmaßnahmen bei sogenannten Großlagen, das kann die Fußball-EM sein, aber auch größere Gipfeltreffen, Staatsbesuche und Großdemonstrationen. Auch wenn die Soldaten dabei nicht unmittelbar gegen Demonstranten vorgehen, besteht ihre Funktion doch darin, den Polizeieinsatz logistisch und materiell zu unterstützen. Das ist aber nicht der primäre Verwendungszweck der Bundeswehr.
DIE LINKE sieht diese Entwicklung im Zusammenhang mit immer wieder aufflammenden Diskussionen über einen Inlandseinsatz der Bundeswehr. Die Gefahr besteht in einem Gewöhnungseffekt: Die Soldaten gewöhnen sich daran, eine aktive Rolle im Bereich der Inneren Sicherheit zu spielen. Die Polizei gewöhnt sich daran, bei der Wahrnehmung ihrer Kernaufgabe auf militärische Ressourcen zuzugreifen. Und die Öffentlichkeit gewöhnt sich daran, dass die Bundeswehr immer mit von der Partie ist, wenn es eine sogenannte Großlage gibt.
Solche Gewöhnungsprozesse sind außerordentlich bedrohlich. Dass sich ein Szenario wie 2007 in Heiligendamm nicht mehr wiederholt hat, liegt nämlich genau daran, dass der Militäreinsatz damals große Empörung hervorgerufen hat und weithin als Skandal empfunden wurde. Wenn man jetzt Schritt für Schritt die Bundeswehr als Hilfspolizei aufbaut, droht ein solches Szenario seine Skandalträchtigkeit zu verlieren.
Wer parlamentarische Kontrolle ernst nimmt, kann nichts dagegen haben, dass der Bundestag über die inneren Verwendungen der Bundeswehr genau in Kenntnis gesetzt wird. Das entspricht dem parlamentarischen Prinzip und dem Primat der Politik. DIE LINKE verbindet mit dem Antrag natürlich auch die Hoffnung auf eine disziplinierende Wirkung: Manche Einsätze würden womöglich ausfallen, wenn sie öffentlich würden.
Eines sei noch angemerkt: Ich habe schon ausgeführt, dass niemand etwas gegen Soldaten haben wird, die in der unmittelbaren Katastrophenhilfe unterstützen. Wir müssen aber immer danach fragen, warum so etwas notwendig wird. Die Gefahr besteht doch, dass Kapazitäten im zivilen Katastrophenschutz eingespart werden, weil man darauf hofft, im Ernstfall aufs Militär zurückgreifen zu können. Das ist freilich eine trügerische Option, weil militärische Kapazitäten nach militärischem und nicht nach zivilem Bedarf eingeplant werden. Wenn es drauf ankommt, sind die vielleicht grade in Afghanistan. Also: Im Zweifelsfall muss der zivile Katastrophenschutz gestärkt werden!