Kann der Verrat an einem Vernichtungskrieg verurteilenswert sein? Nach Ansicht der Bundesregierung offenbar schon. Einerseits wird sie am 20. Juli mit einem »Feierlichen Gelöbnis« im Berliner Bendlerblock des Attentats der Offiziersgruppe um Stauffenberg gedenken, die vor 62 Jahren Hitler umbringen wollte. Dieser Widerstand hat seit einigen Jahren die höchsten Weihen des offiziellen Deutschland. Die Bundesregierung will damit zeigen, daß die Bundeswehr in der Tradition des Widerstands gegen Hitler stehe.
Andererseits aber werden nur dissidente Offiziere gewürdigt. Daß andere Wehrmachtsangehörige ebenfalls Widerstand geleistet und dafür mit dem Tod bezahlt haben, wird bis heute verdrängt und ignoriert. Zehntausende Deserteure, »Wehrkraftzersetzer«, »Simulanten« und »Überläufer« sind von der Wehrmachtsjustiz hingerichtet worden. Zumindest die Deserteure sind, nach langen Bemühungen, vom Bundestag im Jahr 2002 pauschal rehabilitiert worden und gelten nicht mehr als Straftäter. Anders die »Kriegsverräter«. Das Delikt bezeichnete den Landesverrat in Kriegszeiten. Davon betroffen waren laut Militärstrafgesetzbuch alle, die mit der Absicht handelten, »einer feindlichen Macht Vorschub zu leisten oder den deutschen oder verbündeten Truppen Nachteil zuzufügen«. Auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, ob Kriegsverrat verurteilenswert sein könne, hat die Bundesregierung unlängst geantwortet, dies lasse sich »nur im konkreten Einzelfall beantworten«. Das gelte auch für Überläufer zu feindlichen Armeen oder Partisanenverbänden. Es komme darauf an, »ob infolge des Verrats zusätzliche Opfer unter der Zivilbevölkerung und/oder deutschen Soldaten zu beklagen waren«. Während die Ehrung von Partisanen beispielsweise in Italien eine Selbstverständlichkeit ist, stellt Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) in einem Schreiben an Ludwig Baumann von der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz die Kriegsverräter in eine Reihe mit Plünderern, Leichenfledderern und anderen Straftätern. Dabei zeigt eine Untersuchung des Freiburger Militärhistorikers Wolfram Wette, daß Kriegsverräter in aller Regel aus ethisch-politischen Motiven heraus handelten.
Auf die »Einzelfallprüfung«, die sie bei Kriegsverrätern fordert, verzichtet die Bundesregierung, wenn es um die Ehrung der Offiziere des 20. Juli geht. Dabei haben diese bis zuletzt loyal ihre Funktion im Vernichtungskrieg erfüllt und Hunderttausende Opfer unter der Bevölkerung mitverursacht.
Um der Forderung nach Rehabilitierung der Kriegsverräter Nachdruck zu verleihen, führt die Linksfraktion am 20. Juli eine Veranstaltung durch, an der neben Wissenschaftlern auch der Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann und Rosario Bentivegna teilnehmen. Letzterer kämpfte in der römischen Stadtguerilla GAP gegen die Nazibesatzer. Bereits heute abend diskutiert die Deutsche Friedensgesellschaft (DFG-VK) über die Verklärung des Widerstands der 20.-Juli-Offiziere.
* Heute 19 Uhr, RAW-Tempel (Revaler Str. 99), Berlin: 20. Juli – Aufstand der Anständigen? Veranstaltung der DFG-VK
* Donnerstag 19.30 Uhr, Roter Salon, Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin: Widerstand und Kriegsverrat. Veranstaltung der Fraktion Die Linke.
Aus: junge Welt 17. Juli 2006