Während selbst Burschenschafter neonazistische Aktivitäten in ihrem Dachverband beklagen, will die Bundesregierung dort weiterhin keine verfassungsfeindlichen Bestrebungen erkennen. »Zum jetzigen Zeitpunkt liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, daß der Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB) Bestrebungen verfolgt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind«, heißt es in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linkspartei mit dem Titel »Rassismus und rechtsextremistische Tendenzen der deutschen Burschenschaft«.
In der DB sind rund 115 Studentenbünde mit 9000 Mitgliedern zusammengefaßt. Weite Teile der DB – insbesondere die 42 zur »Burschenschaftlichen Gemeinschaft« gehörenden Bünde – stehen offen in der Tradition völkischen Denkens. Im Handbuch der Deutschen Burschenschaft von 2005 werden territoriale Ansprüche auf ehemalige »deutsche Ostgebiete« erhoben und faschistische Kriegsverbrechen relativiert. Doch der Bundesregierung sind nur »vereinzelte Äußerungen« bekannt, in denen »im Zusammenhang mit dem abstammungsbezogenen Volkstumsbegriff teilweise fremdenfeindliche Argumentationsmuster verwendet« werden. Während Burschenschaften immer wieder Neonazis als Redner engagieren, will die Regierung lediglich »vereinzelte Kontakte bzw. Doppelmitgliedschaften« erkennen. Die überwiegende Mehrzahl der Mitgliedsburschenschaften unterhalte keine Kontakte zu Rechtsextremisten.
Das sieht eine »Initiative Burschenschaftler gegen Neonazis« offenbar anders. »Jetzt wird endgültig deutlich, daß rechtsextreme Burschenschaftler die Macht im Verband übernommen haben«, hatte deren Sprecher Justus Libig nach dem Burschentag Anfang Juni in Eisenach erklärt. Dort war es zum offenen Richtungsstreit zwischen rechtsgerichteten und sich als liberal verstehenden Bünden gekommen, nachdem der durch rechtsextreme Äußerungen aufgefallene Funktionär Norbert Weidner erneut mit 85 zu 76 Stimmen zum hauptamtlichen »Schriftleiter« der Verbandszeitschrift Burschenschaftliche Blätter gewählt wurde. Fünf Mitglieder des erweiterten Vorstandes der DB hatten daraufhin ihren Rücktritt erklärt, mehrere Mitgliedsbünde denken nun an einen Austritt aus dem Dachverband.
Weidner hatte Anfang der 90er Jahre später verbotenen Naziorganisationen wie der Wiking Jugend und der Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP) angehört. Dann zog er sich nach eigenen Angaben von der neonazistischen Szene zurückzog und trat 1999 in die FDP ein. Daß damit ein großer Gesinnungswandel verbunden war, darf bezweifelt werden. So hatte Weidner in einem Leserbrief an die Mitgliederzeitung seiner Verbindung, der »Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn«, im vergangenen Herbst den 1945 in einem Konzentrationslager ermordeten Pfarrer und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer einen »Landesverräter« und dessen Verurteilung zu Tode »rein juristisch gerechtfertigt« genannt. Die Bonner Staatsanwaltschaft ermittelt daher seit März 2012 wegen des Verdachts auf Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Schon im vergangenen Jahr hatten die »Raczeks«, deren Vorstand Weidner angehört, auf dem Burschentag einen »Ariernachweis« als Aufnahmekriterium für Neumitglieder eingefordert, dafür aber keine Mehrheit gefunden.
Das Bonner Landgericht urteilte vergangene Woche, daß der ebenfalls den Raczeks angehörende Mitbegründer der Initiative Burschenschafter gegen Neonazis, Christian J. Becker, Weidner als »einen der Köpfe der rechtsextremen Bewegung aus Burschenschaften, NPD und Kameradschaften« bezeichnen und behaupten dürfe, er strebe die Gründung einer rechtsextremen Studentenpartei an.
Kritischer als das für die Beantwortung der Kleinen Anfrage zuständige Bundesinnenministerium scheint Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer den Zustand der DB zu sehen. So hat sich der CSU-Politiker, der als einziger Bundesminister einer Burschenschaft angehört, laut Antwort der Bundesregierung der Initiative »Burschenschafter gegen Neonazis« angeschlossen.
erschien in: junge Welt 17.7.2012