Mit ihrer Ankündigung, notfalls im Alleingang ein neues NPD-Verbotsverfahren einzuleiten, setzen mehrere Ministerpräsidenten parteiübergreifend die Bundesregierung unter Druck. Zuerst hatte Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) am Wochenende erklärt, »alles in die Waagschale« zu werfen, damit ein neues Verfahren zustande kommt. Nun schlossen sich Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), der mecklenburg-vorpommerische Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) und der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) dieser Forderung an.
Die Ideologie der NPD sei der »geistige Nährboden für die Mörder« der Terrorzelle des Nationalsoziaslistischen Untergrunds (NSU), erklärte Lieberknecht gegenüber der Tageszeitung Die Welt vom Montag. Es sei schwer erträglich, daß diese Partei aus Steuermitteln unterstützt werde. Die Ministerpräsidenten schließen einen Alleingang der Länder auch ohne Bundestag und Bundesregierung bei der Beantragung eines Parteiverbots nicht aus. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte am Montag von der Bundesregierung Engagement für ein neues Verbotsverfahren. »Ich fordere den Bund auf, sich daran zu beteiligen«, sagte er gegenüber der Nachrichtenagentur dapd. Durch den Ländervorstoß sei ein »neuer Impuls gegeben« worden, den er begrüße.
Dementgegen warnen der CDU-Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich, und Niedersachsens Innenmister, Uwe Schünemann, vor einem übereilten Vorgehen. Kritik kommt auch von Petra Pau, die dem Vorstand der Linksfraktion im Bundestag sowie dem NSU-Untersuchungsausschuß angehört: »Wer wieder und wieder lauthals ein Verbot der NPD fordert, ohne es gerichtsfest zu begründen, hält die NPD nur in aller Munde. Das ist PR-Arbeit im schlechtesten Sinne.«
Noch unter dem Eindruck der Morde durch die Neonaziterroristen des NSU hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern auf der Innenministerkonferenz im März endlich darauf geeinigt, innerhalb eines Monats die V-Leute der Verfassungsschutzämter aus dem Führungsgremien der NPD – nicht aber aus der Basis der Partei – abzuziehen. Bis Mitte November sollen neue Beweise ausgewertet werden, um dann im Dezember über einen Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu entscheiden. Tatsächlich scheint diese Prüfung für Politiker der CDU/FDP-Regierungskoalition eher eine Pflichtübung zu sein. Denn nicht nur der Verbleib von Verfassungsschutzspitzeln in den unteren NPD-Gliederungen gefährdet ein neues Verfahren. CSU-Innenexperte Hans-Peter Uhl hält das Unterfangen auch aufgrund der bekanntgewordenen Aktenvernichtungen des Verfassungsschutzes über frühere Einsätze von V-Leuten in der Neonaziszene für aussichtslos. Die NPD-Anwälte würden damit die Glaubwürdigkeit der Verfassungsschutzquellen in Zweifel ziehen, erklärte Uhl Ende Juli.
Das erste, von Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung gemeinsam angestrengte NPD-Verbotsverfahren war 2003 vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Das oberste deutsche Gericht hatte die Durchsetzung der Organisation mit V-Leuten des Verfassungsschutzes moniert und ihr daher eine »fehlende Staatsferne« unterstellt. Zum damaligen Zeitpunkt stand jedes sechste Vorstandsmitglied der NPD auf der Gehaltsliste des Inlandsgeheimdienstes, so daß das Gericht nicht erkennen konnte, welche der für ein Verbot relevanten volksverhetzenden Äußerungen tatsächlich aus der Partei kamen.
So hatte etwa der nordrhein-westfälische NPD-Funktionär Wolfgang Frenz, auf den einige der übelsten antisemitischen Hetzschriften der Partei zurückgingen, seit 1959 bis Mitte der 90er Jahre als V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes gearbeitet. Den Kontakt mit dem Geheimdienst hatte Frenz in Absprache mit seiner Partei aufgenommen und seinen Agentenlohn in den Aufbau der Organisation gesteckt. »Ohne das Geld des Verfassungsschutzes hätte die NPD in Nordrhein-Westfalen gar nicht aufgebaut werden können«, gestand er nach seiner Enttarnung im Zuge des Verbotsverfahrens. Frenz ist sich zudem sicher, einen Großteil seiner zehn Führungsoffiziere zu »überzeugten Nationaldemokraten« gemacht zu haben. »Ich hatte den Eindruck, daß ich mehr die geführt habe als die mich«, bekannte er im Dezember letzten Jahres gegenüber der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung.