Das Grundgesetz trennt nicht nur Polizei und Militär, sondern auch die beiden Szenarien für einen möglichen Einsatz der Bundeswehr im Innern scharf: einerseits der Katastrophennotstand, in dem die Bundeswehr zur Unterstützung von Polizei und Katastrophenschutz eingesetzt werden darf, aber ausdrücklich ohne militärische Mittel. Und andererseits der »Staatsnotstand«, der durch die Notstandsgesetzgebung 1968 ins Grundgesetz eingefügt wurde, in dem auch die Bundeswehr militärisch eingesetzt werden darf.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Grenze zwischen diesen beiden Szenarien jetzt eingerissen. Der Einsatz spezifisch militärischer Mittel »bei Einsätzen der Streitkräfte« sei bei der Amtshilfe im Katastrophenfall »nicht grundsätzlich« ausgeschlossen, so das Gericht in seinem Beschluß. Allzu vage redet das Gericht von einem »unmittelbar bevorstehenden« Schadenseintritt von »katastrophischen Dimensionen«, der den Einsatz militärischer Mittel im Inland erlaube. Damit wurde das fundamentale Verfassungsprinzip, militärische Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit im Inland auszuschließen, per Gerichtsbeschluß gekippt. Der weiteren Militarisierung der Innenpolitik ist Tür und Tor geöffnet.
Das Bundesverfassungsgericht macht mit diesem Beschluß Politik. Die Forderung nach einer Änderung des Grundgesetzes, um Bundeswehreinsätze im Inland auszuweiten, wird von Law-and-order-Politikern schon lange erhoben. Bislang konnten sie sich nicht durchsetzen, weil im Bundestag die notwendige Zweidrittelmehrheit fehlte. Nun hat das Gericht einen Weg gewiesen, auch ohne die notwendige Grundgesetzänderung militärische Einsätze im Inland begründen zu können.
Um die vom Gericht aufgestellten engen Bedingungen wird man sich dabei nicht scheren. Es sind nämlich nicht die Richter, die entscheiden, wann eine Ausnahmesituation von »katastrophischen Dimensionen« herrscht. Es sind genau jene Sicherheitspolitiker und Behörden, die seit über 20 Jahren Bundeswehreinsätze im Inland fordern. Es gibt zahlreiche Beispiele, wie mit abstrusen Gefahrenprognosen Demonstrationsverbote im großen Stil und vollkommen unverhältnismäßige Polizeieinsätze gegen friedliche Demonstrationen begründet wurden.
Nun hat das Bundesverfassungsgericht die Argumente geliefert, mit herbeiphantasierten Staatsgefährdungen den Einsatz der Bundeswehr bei Straßenprotesten und politischen Massenstreiks in der drohenden Hinterhand zu halten. Ist diese Möglichkeit erst einmal in der Welt, wirkt allein schon die Drohung einschüchternd. Die Entscheidung ist damit auch ein Türöffner zur Aushebelung demokratischer Rechte. Doch es bleibt dabei: Die Aufgabe der Bundeswehr ist laut Grundgesetz die Landesverteidigung. Und die findet weder am Hindukusch noch bei Demonstrationen statt.