Wenn der Präsident spricht, verabschiedet sich die Logik. Als guter Pastor von nebenan bedient Joachim Gauck ein in den Leitmedien vorhandenes Bedürfnis an Uneindeutigkeit. Dieses läuft unbeirrbar darauf hinaus, in Deutschland sei seit Abwicklung der DDR alles auf dem richtigen Weg.
Nun hat er zum 20. Jahrestag des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen gesprochen. Vielversprechend hob er an, es gelte die damaligen Vorkommnisse »zu analysieren, um aus den Fehlern und Versäumnissen von damals zu lernen«.
So kreißt der Gauck. Aber was herauskommt, ist keine Analyse des deutschen Rassismus, sondern eine religiös inspirierte Vernebelung politischer Verantwortlichkeiten. Auf die Frage »Wo blieb die Staatsmacht?«, folgt ein Exkurs über die »Ängste, die auch einzelne Polizisten spüren«, und über die Verantwortlichen, die ihre Augen »verschlossen« und »sich nicht exponieren« wollten. Dabei war fehlender Exponierungswille nun mit Sicherheit kein Merkmal der damaligen Politik. Ganz im Gegenteil: Kaum ein Angehöriger einer der großen Parteien, der damals nicht den Mund aufgerissen hatte, um gegen Asylsuchende zu hetzen, um Ängste und Vorurteile zu schüren. Während in Lichtenhagen schon die Brandsätze flogen, verschlossen CDU/CSU, FDP und SPD nicht etwa die Augen, sondern bereiteten die Änderung des Grundgesetzes vor, um das Asylrecht wesentlich einzuschränken. Die Eskalation des Pogroms kam nicht vom Himmel, sondern wurde von der herrschenden Politik gezielt herbeigeführt.
Darüber findet sich kein Wort bei Gauck. Wenn es um Verantwortlichkeiten geht, fällt er in den täterlosen Passiv: Es sei damals »die Rede« gewesen von Flüchtlingsströmen und dem angeblich vollen Boot. Was Gauck nicht sagt: So geredet haben jene, die ihn zum Präsidenten gewählt haben. Es ist übrigens auch nirgendwo überliefert, daß der Rostocker Pastor 1992 nur ein Wort zu dem Pogrom verloren hätte.
Für Gauck gibt es im Prinzip nur zwei Schuldige: Zum einen die DDR. »Gerade wir Ostdeutschen«, erklärt er, »blieben anfällig für ein Denken in Schwarz-Weiß-Schemata«, weil die SED keine »Kultur der offenen Bürgerdebatte« geduldet habe. Zum Glück gab und gibt es das Schwarz-Weiß-Denken im Westen überhaupt nicht.
Und wie es kommen konnte, daß auch im Westen der Republik – in Solingen, Mölln usw. – die Häuser von Migranten angezündet wurden? Dafür gibt es die zweite Schuldige: die Natur des Menschen. Zu viele Ausländer locken jene »Angst vor dem Fremden tief in uns« hervor, deren »zerstörerische Potentiale« nur schwer einzuhegen sind. In salbungsvolleren Worten hat der Präsident damit wiederholt, was 1992 Konsens war: Am Rassismus haben die Ausländer schuld – es sind halt zu viele. Ihn dafür »Heuchler« zu nennen, ist fast ein Kompliment.