Rede von Ulla Jelpke zu TOP 27 der 201. Sitzung des 17. Deutschen Bundestages, Beratung des Gesetzentwurfs der Fraktion der SPD „Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht“ auf Bundestagsdrucksache 17/9187
Die SPD-Fraktion legt hier heute einen Gesetzentwurf vor, mit dem endlich die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen im deutschen Aufenthalts- und Asylrecht umgesetzt werden soll. Mit Unterzeichnung dieser Konvention im Jahr 1991 hatte die damalige Bundesregierung gemeinsam mit den Bundesländern einen Vorbehalt eingelegt, mit dem sich die Bundesrepublik Deutschland eine schlechtere Behandlung von ausländischen Kindern vorbehalten hatte. Die von der Fraktion DIE LINKE bereits zu Beginn der Wahlperiode geforderte Rücknahme des Vorbehalts ist mittlerweile erfolgt. Die von der SPD nun vorgeschlagenen Gesetzesänderungen entsprechen weitgehend dem, was DIE LINKE ebenfalls in ihrem Antrag im Jahr 2009 gefordert hatte (Bundestagsdrucksache 17/0059).
Im Zentrum der Kritik steht die Asylverfahrensmündigkeit bereits mit 16 statt mit 18 Jahren. Einige der minderjährigen Asylsuchenden werden also zumindest im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt. Das soll mit diesem Gesetzentwurf geändert werden. Der Gesetzentwurf sieht eine Reihe weiterer Verbesserungen im Asylverfahren und bei den Aufnahmebedingungen vor. So sollen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge nicht mehr in Sammelunterkünften untergebracht, sondern nur noch in Obhut der Jugendämter genommen werden und entsprechend in kinder- und jugendgerechten Einrichtungen leben.
DIE LINKE begrüßt diesen Gesetzentwurf, an einigen Stellen müsste er allerdings deutlich weitergehen. So sollen nach dem Gesetzentwurf unbegleitete Minderjährige aus dem Flughafenasylverfahren herausgenommen werden. An dieser Stelle wäre es nicht falsch gewesen, das rechtsstaatswidrige Schnellverfahren im Flughafentransitbereich ganz zu streichen. Mindestens hätte man aber auch die Familien dort herausnehmen müssen, denn für Kinder ist eine solche Umgebung generell ungeeignet, ob nun die Eltern dabei sind oder nicht. Ähnliches gilt bei der Abschiebungshaft. Unbegleitete Minderjährige sollen nach dem Willen der SPD nicht in Sammelunterkünften und nicht im Flughafentransit untergebracht werden. Es wäre nur konsequent gewesen, dann auch die Abschiebungshaft für Minderjährige, unbegleitet oder nicht, zu untersagen. Neben der Inobhutnahme durch die Jugendämter sollte es außerdem einen Anspruch auf eine Rechtsvertretung für unbegleitete Minderjährige geben. Wir alle wissen, dass es sich beim Asyl- und Aufenthaltsrecht in Deutschland um eine hochkomplexe Rechtsmaterie handelt. Dafür brauchen Kinder und Jugendliche entsprechende Unterstützung, die selbst von engagierten Vormündern nicht geleistet werden kann.
An einem Punkt haben wir allerdings auch einen deutlichen Widerspruch zum Gesetzentwurf der SPD. Sie wollen medizinische Eingriffe zur Altersfeststellung mit Einschränkungen weiter zulassen. Dabei handelt es sich meist um eine Röntgenuntersuchung der Handwurzelknochen. Wir lehnen so etwas generell ab und fordern statt dessen, im Zweifel auf die Aussagen der Betroffenen zu vertrauen.
Einen weiteren Punkt vermissen wir im Gesetzentwurf der SPD. Bei weitem nicht alle EU-Staaten haben das Niveau der Fürsorge für unbegleitete Minderjährige, das in Deutschland glücklicherweise bereits erreicht ist. Das gilt besonders für jene Staaten, die ohnehin die EU-Vorgaben zu den Aufnahmebedingungen für Schutzsuchende unterlaufen. Doch wenn festgestellt wird, dass die minderjährigen Flüchtlinge bereits in einem anderen EU-Staat einen Asylantrag gestellt haben, versucht man sie ihm Rahmen der Dublin-Zuständigkeitsregeln schnell wieder dorthin loszuwerden. Dabei wird auch wenig Rücksicht darauf genommen, welche psychischen Konsequenzen eine solche Behandlung für die Kinder und Jugendlichen hat, oder ob es in dem betreffenden EU-Staat überhaupt ein angemessenes System für die Aufnahme von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt. So droht jungen Flüchtlingen weiter die Abschiebung nach Italien, auch wenn sie dort auf der Straße leben müssen. Das ließe sich nur mit einem generellen Verzicht auf Überstellungen von Minderjährigen im Dublin-Verfahren verhindern. Und auch an diesem Punkt gilt: Minderjährige im Familienverbund dürfen nicht schlechter gestellt sein als unbegleitete Minderjährige. Auch sie müssen davor geschützt werden, im europäischen Zuständigkeitsdschungel hin- und hergeschoben zu werden.
(nach Vereinbarung zwischen allen Fraktionen zu Protokoll gegeben.)