Keine einzige Forderung der Migrantenverbände, Kirchen und Flüchtlingsorganisationen oder des Hohen Flüchtlingskommissars der UNO (UNHCR) zum Zuwanderungsrecht wird vom Bundesinnenministerium (BMI) aufgegriffen. Das ergibt eine kritische Analyse des am Montag veröffentlichten »Berichts zur Evaluierung des Gesetzes zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung«. Im Gegenteil: Die »Projektgruppe Zuwanderung« im BMI schlägt in dem 256 Seiten starken Dokument sogar eine Vielzahl von Verschärfungen vor. Damit haben sich die Befürchtungen bestätigt, die nach dem »Praktiker-Erfahrungsaustausch« des BMI Ende März 2006 von Verbänden wie Pro Asyl oder dem Berliner Flüchtlingsrat geäußert worden sind. Denn Menschenrechtsorganisationen und Vertreter der Migranten waren zu dieser Anhörung gar nicht erst eingeladen worden. Entsprechend spiegelt der Evaluierungsbericht die typische Behördensicht bei der Umsetzung des seit 1. Januar 2005 geltenden Zuwanderungsgesetzes wider.
Somit verwundert es nicht, wenn vom BMI, das ja das Zuwanderungsgesetz maßgeblich beeinflußt und zu einem »Zuwanderungsverhinderungsgesetz« ausgestaltet hat, behauptet wird, die Regelungen hätten sich »grundsätzlich bewährt«. Die Kritik, die von vielen Seiten seit langem an diesem Abschottungsgesetz geübt wird, kommt im Evaluierungsbericht nur am Rande vor. Das Thema »Illegalisierte« wird im BMI-Bericht ausgespart. Ebenso waren die Sprach- und Integrationskurse nicht Gegenstand der Untersuchung, da es diesbezüglich bis Ende 2006 eine externe Evaluierung geben soll.
Dennoch fordert das BMI: Der Nachweis eines Integrationskurses soll künftig nicht schon durch die regelmäßige Teilnahme erbracht werden können, sondern erst mit dem erfolgreichen Absolvieren eines Abschlußtests. Dahinter steckt erheblicher politischer Zündstoff, denn zugleich haben in den letzten Wochen Unionspolitiker wie Edmund Stoiber oder Günther Beckstein mit Sanktionen bis hin zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen gedroht, wenn der Integrationskurs nicht erfolgreich absolviert wird.
Die in der Öffentlichkeit bisher am meisten kritisierte Änderung des Ehegattennachzugs in die BRD ist streng genommen kein neues Thema des Evaluierungsberichts, sondern war bereits im Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinien enthalten. Jedenfalls ist es klar verfassungswidrig, Sozialhilfeempfängern zu verweigern, daß ihre Ehegatten zu ihnen ziehen dürfen.
Die Einführung eines Anfechtungsrechts des Staates bei Verdacht auf »Scheinvaterschaften« wird damit begründet, daß ein früherer FDP-Kommunalpolitiker nach eigener Aussage die Vaterschaft von 300 ausländischen Kindern anerkannt haben soll. Da kein anderer konkreter Fall eines erwiesenen Mißbrauchs genannt wird, erscheint die Begründung für diesen schwerwiegenden Eingriff ins Privatleben sehr fragwürdig.
Die sogenannten Botschaftsvorführungen bei ungeklärter Herkunft oder Staatsangehörigkeit von Flüchtlingen ohne Pässe sollen vereinfacht werden. Hierbei geht es zumeist um Migranten aus Afrika. Jeder Betroffene hat schon jetzt die Pflicht, auf Anordnung bei Vertretungen des Staates, der als Herkunft vermutet wird, persönlich zu erscheinen. Künftig soll es auch möglich sein, daß der Flüchtling nicht mehr durch Botschaftspersonal, sondern durch »autorisierte Personen« in Augenschein genommen wird. Das öffnet der Willkür Tür und Tor.
Schließlich wird im BMI-Evaluierungsbericht nicht auf die umfassende Kritik der Verbände an der Abschiebehaftpraxis eingegangen. Das BMI hält daran fest, daß Abschiebehaft ein »legitimes Mittel des Rechtsstaates« sei. Wenigstens wird zugegeben, daß im Einzelfall geprüft werden könne, ob nicht »mildere Maßnahmen« möglich seien wie etwa Meldeauflagen.
aus: junge Welt vom 27. Juli 2006