Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Gäste! Es freut mich ganz besonders, dass es uns gelungen ist, dass Flüchtlinge dieser Debatte beiwohnen können. – Ich begrüße Sie ganz herzlich.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, als damals der Asylkompromiss diskutiert wurde, gab es nicht wenige Politiker, die ganz offen gesagt haben: Wir brauchen Gesetze, damit Flüchtlinge davon abgeschreckt werden, nach Deutschland zu kommen. – Man muss ganz klar sagen, dass der Asylkompromiss, angefangen in dem Moment, wo Flüchtlinge deutschen Boden betreten, viele Punkte beinhaltet, die reine Schikane sind. Damit muss endlich Schluss sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein Beispiel ist die Unterbringung in Sammellagern. Die Sammellager sind häufig dort angesiedelt, wo kein Mensch hinkommt, wo kein Mensch wohnt. Man kann auch sagen: Sie sind ein leichtes Ziel für rassistische Angriffe und Attacken; so etwas hat ja stattgefunden. Erst vor einer Woche ist in Bayern, in Wörth, ein Asylheim an vier Stellen angezündet worden. Zum Glück ist niemandem etwas passiert. Ich meine, wir sollten alles tun, damit solche Dinge wie Anfang der 90er-Jahre – brennende Asylheime, Anschläge auf Migranten – nicht wieder passieren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein weiteres Beispiel ist die Residenzpflicht. Herr Grindel, Sie haben lang ausgeführt, dass die Residenzpflicht unbedingt nötig ist. Ich frage Sie: Warum ist Deutschland das einzige Land in der EU, in dem es eine Residenzpflicht gibt? Es gibt eine Meldepflicht, die Flüchtlinge sind erreichbar. Eine Residenzpflicht ist völlig überflüssig. Dass wir nach Jahrzehnten immer noch eine Residenzpflicht haben, ist reine Schikane. Ich halte das für einen Skandal.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bei der Debatte, die ich heute verfolgt habe, konnte ich meinen Augen und Ohren nicht trauen. Vielleicht sollte der Innenausschuss hin und wieder öffentlich tagen, damit die Öffentlichkeit mitbekommt, was dort diskutiert wird. Die Bundesregierung musste per Gerichtsbeschluss dazu gebracht werden, Flüchtlingen zum ersten Mal seit zwanzig Jahren ein paar Euro mehr zukommen zu lassen. Freiwillig haben Sie bisher nichts getan. Sie drücken sich um klare Ansagen, wie es mit dem Asylbewerberleistungsgesetz weitergehen soll. Dieses Gesetz gehört längst abgeschafft; denn es ist ein einziges Ausgrenzungsgesetz.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zum Arbeitsverbot haben hier schon viele Kolleginnen und Kollegen etwas gesagt. Auch das ist ein riesiger Skandal. Es geht hier ja zum einen um Asylsuchende, vor allen Dingen geht es aber auch darum, dass auf der einen Seite seit Jahren gefordert wird, sie sollen sich integrieren, während ihnen auf der anderen Seite alle möglichen Verbote auferlegt werden. Wie soll das eigentlich gehen?
Ich will ganz deutlich sagen: Rechtsstaatliche Mindeststandards werden an zahlreichen Stellen durchlöchert. Einstweiliger Rechtsschutz gegen behördliche Maßnahmen – übrigens ein wichtiger Schutz vor Behördenwillkür – gilt für Asylsuchende auf vielen Stufen des Verfahrens nicht. Das muss geändert werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diese Schikanen – das muss hier auch ganz deutlich gesagt werden – zermürben die Menschen. Die Evangelische Kirche in Deutschland sagt heute zum Beispiel ganz klar – ich kann das hier nicht lang zitieren, weil ich nicht so viel Zeit habe –: „Das Leben in Sammelunterkünften macht psychisch und physisch krank“, und fordert ebenfalls die Abschaffung, weil es genügend Wohnraum gibt, in dem man Flüchtlinge unterbringen könnte.
Viele Betroffene empfinden das übrigens wie einen Gefängnisaufenthalt, der sie an ihre Herkunftsstaaten erinnert. Einige von ihnen verlieren angesichts dieser Lebensumstände ihren Lebensmut. Dass es einen Selbstmord eines Iraners gegeben hat, Mohammad R., hat übrigens die protestierenden Flüchtlinge dazu bewogen, diesen Protestmarsch durchzuführen. Dieser Selbstmord war der Auslöser für diese Proteste und leider auch das Ergebnis dieser bürokratischen deutschen Asylpolitik. Das muss man hier ganz deutlich feststellen.
(Kornelia Möller [DIE LINKE]: In Würzburg, in Bayern!) Die Umsetzung des sogenannten Asylkompromisses erfolgte damals in einem bemerkenswerten Klima. Herr Grindel, Sprüche wie der von Herrn Stoiber, dass eine durchmischte und durchrasste Gesellschaft zu befürchten ist, Sätze wie der von Ihren Kollegen hier im Bundestag, wie zum Beispiel Norbert Geis: „Die Deutschen haben ein Recht auf Widerstand gegen die Überfremdung“, Ausdrücke auf Plakaten wie auf denen der CDU: „Asylmissbrauch beenden“, usw. waren damals auch die Stichworte für die Brandlegungen von Nazis und von Rassisten in Asylheimen. Das muss man ganz deutlich sagen.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gewagte These!)
Anlässlich der Erinnerung an die Rostocker Pogrome vor 20 Jahren ist gerade jetzt noch einmal daran erinnert worden. Auch von vielen Ihrer Kollegen wurden schöne Worte gefunden. Man hat aber nicht wirklich Konsequenzen daraus gezogen.
Jetzt hören wir im Grunde genommen ähnliche Sprüche wieder. Vom Bundesinnenministerium hören wir: „Alle wollen in unser Sozialsystem hinein und daran partizipieren; es wird Asylmissbrauch betrieben“ usw., anstatt die Verfolgungssituation von Roma und Sinti tatsächlich zu begreifen und in den Ländern zu helfen, die Situation dort zu verändern.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Tun wir doch!)
Die Flüchtlinge kommen nicht hierher, weil sie unbedingt in Deutschland leben wollen, sondern weil sie wirklich Probleme haben. Sie sind zwar in der Tat auch Armutsflüchtlinge, haben aber auch einen Anspruch auf ein Asylverfahren. So ist es in unserem Land vorgeschrieben. Deswegen fordere ich Sie auf: Hören Sie auf, diese Ängste in der Bevölkerung mit solchen Parolen zu schüren!
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich war in der letzten Woche in Nordrhein-Westfalen und bin dort durch Asylunterkünfte gegangen.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wer regiert denn da, wo Sie da waren?)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Jelpke, es tut mir leid, aber achten Sie bitte auf das Signal.
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Ich komme gleich zum Schluss. – Dort habe ich festgestellt, dass die Bevölkerung durch solche Parolen verängstigt wird. Es werden dann Bürgerinitiativen gegen die Flüchtlinge initiiert.
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Wer macht es denn? Die Bürgermeister!)
Das ist der Anfang vom Ende. Wir sollten auf jeden Fall darauf achten, dass wir nicht wieder eine neue Stimmung wie in den 90ern kriegen, als Asylheime brannten und Migranten angegriffen wurden. Das wissen Sie auch ganz genau, Herr Grindel.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
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