Rede zur Kundgebung gegen Geschichtsrevisionismus und das „Zentrum gegen Vertreibungen“
Berlin, 12. August 2006
Von Dirk Burczyk (wiss. Mitarbeiter Büro Ulla Jelpke)
Liebe Freundinnen und Freunde,
nach jahrelanger Auseinandersetzung um ein „Zentrum gegen Vertreibung“ startet die Stiftung des Bundes der Vertriebenen mit dieser Ausstellung einen ersten Testballon für die Akzeptanz ihres Anliegens. Von den Machern der Ausstellung wurden im Vorfeld Mythen in die Welt gesetzt, um die Öffentlichkeit zu beruhigen und über den geschichtsrevisionistischen Charakter der Ausstellung hinwegzutäuschen. Nach einem ersten Gang durch diese Ausstellung können diese Mythen leicht auseinandergenommen werden.
1. Mythos: „Die Ausstellung will nicht die Geschichte des Holocaust relativieren“
Die Vertreibung der Juden taucht in der Ausstellung als ein Baustein des Holocaust auf, der auch so benannt wird. Die Vernichtung der Juden wird nach den Worten der Aussteller nicht gezeigt, um ich nicht zu relativeren. Die Darstellung endet mit der Wannseekonferenz.
Die Relativierung schlägt aber eine neue Richtung ein: Die so genannten Vertreibungsschicksale werden unterschiedslos nebeneinander gestellt. Bereits das Intro auf der homepage der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen fängt mit der Aussage an: Zwischen 80 und 100 Millionen Menschen im 20. Jahrhundert sind vertrieben, deportiert oder ermordet worden. So, als sei der Bevölkerungsaustausch zwischen den Balkan-Staaten am Ende des Ersten Weltkriegs das gleiche wie der Genozid an den Armeniern das gleiche wie „ein Baustein des Holocaust“ das gleiche wie die Vertreibungen in Ex-Jugoslawien in den 90er Jahren. Und das alles das gleiche wie die Umsiedlung der Deutschen 1945-48.
Die Relativierung wird dabei über eine subjektiv-emotionale Argumentation besorgt. So zitiert der Spiegel vom 31. Januar Helga Hirsch, Mitglied des wissenschaftlichen Beirats: „Uns wird vorgeworfen, die deutschen Kriegsverbrechen zu relativieren. Aber es darf keine Konkurrenz zwischen den Opfern geben.“ Die Anerkennung des deutschen Leids sei aber die Voraussetzung für die Empathie mit dem Leid anderer. Mit anderen Worten: so lange das Leid der deutschen Vertriebenen nicht anerkannt wird, so lange ist auch von uns kein Mitleid zu erwarten.
Die Ausstellung geht noch einen anderen Weg der Relativierung: den der Begriffe. So heißt es, in der Phase der „wilden Vertreibungen“ unmittelbar nach dem Rückzug der Wehrmacht habe es „Vertreibung in Zügen“ gegeben. Die Assoziation zu Menschen, die in Züge gesteckt werden, dürfte den Kuratoren der Ausstellung klar sein; sie ist also gewollt.
Ein anderes Beispiel subtiler Relativierung: 1940, als die Donauschwaben „Heim ins Reich“ geholt wurden, seien Schiffe die Donau mit jüdischen Flüchtlingen herunter- und mit deutschen Umsiedlern heraufgefahren.
Einen besonders perfiden Propagandagriff haben sich die Aussteller für den letzten Teil der Ausstellung über das Thema „Lager“ aufgehoben. Besonders perfide sei es gewesen, dass am Ende des Krieges die deutschen Vertriebenen in ehemalige Konzentrations- bzw. Kriegsgefangenenlager gekommen seien.
2. Mythos: „Die Vertreibung der Deutschen wird in einen europäischen bzw. historischen Kontext gestellt“
Dazu ist zu sagen: neun Beispiele von Vertreibungen in einer Ausstellung zu zeigen stellt noch keinen Kontext her. Erst recht werden so ohne die entsprechende Aufbereitung keine Zusammenhänge aufgezeigt. Dem Grundkonzept der Ausstellung folgend, ist das aber auch nicht möglich. Denn dann müsste man die Motive der Vertreibungen und Deportationen zum Ausgangspunkt nehmen. Man müsste sagen, dass die Vertreibung der Polen Teil eines Rassevernichtungskriegs gegen die Bevölkerung Osteuropas war. Man müsste sagen, dass die Umsiedlung der Deutschen auf den Erfahrungen der Nachbarländer mit ihren deutschen Minderheiten zwischen den Weltkriegen und im Zweiten Weltkrieg beruhte. Eine angemessene Wertung der völkischen Wühlarbeit der deutschen Minderheiten unterbleibt. Terrorbanden wie das „Sudetendeutsche Freicorps“, das in über 300 Anschlägen vor 1938 über 100 Menschen tötete, bleiben unerwähnt. Dafür wird auf der Texttafel über die Vertreibung der Sudetendeutschen behauptet, dass die Henlein-Partei die Deutschen diskreditiert habe. Das ca. 90% der Deutschen in Tschechien dieser Partei ihre Stimme gegeben haben, bleibt unerwähnt. Dass diese Deutschen dem Einmarsch der Wehrmacht zugejubelt haben, ebenso. Eine tschechische Zeitung schreibt in ihrer gestrigen Ausgabe ganz richtig: „Die Ausstellung erfüllt die Erwartungen. Sie ist nicht objektiv, sie verschweigt, sie ist tendenziös. Sie ist die Erinnerung von Opfern, die sich weder an die eigene Schuld, noch an die Schuld von Nazi-Deutschland erinnern.“ („Lidove noviny“)
Keinerlei Erwähnung findet der Rasse-Vernichtungskrieg, den die Wehrmacht führte und der in der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ umfassend dokumentiert wurde. Der Generalplan Ost wird erwähnt; dass er die Vertreibung von 50 Millionen Osteuropäern vorsah; dass man in der Reichsführung nur noch diskutierte, ob nun 20 oder 30 Millionen dabei vernichtet werden müssten, erfährt der Besucher nicht. Der Begriff Germanisierung wird in Zusammenhang mit der Besetzung Polens 1939 erwähnt, und auch, dass er genau jene Vertreibung meinte, dass er die Vernichtung der gesellschaftlichen Eliten meinte, die Versklavung der restlichen Bevölkerung. Aber dass sich das eben nicht nur auf die 1939 besetzten Teile Polens, sondern Gebiete weit darüber hinaus bezog, erfährt der Besucher ebenfalls nicht.
3. Mythos: „Polen wurde in der Ausstellung besonders berücksichtigt, zu einigen polnischen Bürgern gibt es gute Beziehungen“
Um diese These zu untermauern, weist zum Beispiel ein Sven Felix Kellerhoff in der „Welt“ vom 10. August darauf hin, dass jedes zehnte der gezeigten Exponate aus Polen stammt. Doch die Vertreibung der polnischen Bevölkerung durch das Deutsche Reich wird nur in der Phase bis 1941 gezeigt. Die Angaben dazu sind widersprüchlich: mal ist die Rede von 135.000 Vertriebenen, dann wird auf einmal die Zahl von 925.000 Vertriebenen genannt. Das fällt vielen Besuchern auch auf.
Aber was dann geschah, ist nicht Gegenstand der Ausstellung. Wie die polnische Bevölkerung unter der nach 1941 weiter vorrückenden Wehrmacht zu leiden hatte, welche Kriegsverbrechen unglaublichen Ausmaßes von ihr verübt worden, kommt nicht vor. Von dem Konzept der „verbrannten Erde“, der Verwüstung ganzer Landstriche durch die auf dem Rückweg befindliche Wehrmacht kein Wort.
Dafür rückt nun ein anderer Akteur in den Mittelpunkt: die Sowjetunion. Ausführlich widmet man sich den Vertreibungen und Umsiedlungen von Polen, Balten, Ukrainern und Finnen in den von der Sowjetunion besetzten Gebieten.
Und zu guter Letzt steht die Sowjetunion als Verantwortliche der Umsiedlung der Volksdeutschen aus Osteuropa am Ende des Krieges da. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung hat den Wink verstanden und schreibt in ihrer Ausgabe von Mittwoch: „Sie [die Vertreibung] ist zugleich Instrument und Vehikel totalitärer Ambitionen. In Ostmittel- und Südosteuropa ging sie nicht nur zeitlich, sondern auch logisch der Sowjetisierung voraus.“ In den Texttafeln der Ausstellung heißt es, ich zitiere: „Hauptursache für die Vertreibungen in den deutschen Ostgebieten war die durch Stalin betriebene und von den Westalliierten und der polnischen Regierung akzeptierte Westverschiebung Polens bis an die Oder-Neiße-Grenze.“ Und weiter: „Mit Kriegsbeginn begannen die Kriegsgegner Deutschlands mit Planungen für die Nachkriegszeit, zu denen auch Umsiedlungen gehören.“ Und schließlich seien die „Vertreibungen ein politisch populäres Element im Prozess der kommunistischen Machtergreifung gewesen.“
Damit ist das zweite Grundübel des 20. Jahrhunderts neben der Vertreibung eigentlich auch schon benannt: der Kommunismus bzw. die Sowjetunion. Die Ausstellung kämpft noch mal den Kalten Krieg.
4. Mythos: „Die Ausstellung dient dem Frieden und der Völkerverständigung“
Wenn Frieden und Völkerverständigung eines der Ziele der Ausstellung sein sollen, wundert man sich über den Glanzpunkt der Ausstellung, auf den die Kuratoren besonders stolz sind und von dem sie gerne erzählen, weil es sich um eine polnische Leihgabe handelt: die Schiffsglocke der von sowjetischen U-Booten versenkten „Wilhelm Gustloff“, die mit ca. 8.000 Zivilisten und 2.000 Marineangehörigen an Bord versenkt wurde. Nur ca. 2.100 von ihnen konnten gerettet werden. Dass die Gustloff Positionslichter ausgesetzt hatte, um die Kollision mit einem entgegenkommenden Minenleger der Wehrmacht zu verhindern, und dadurch leicht auszumachen war; dass die Gustloff militärischen Geleitschutz hatte, weil sich an Bord 918 Soldaten der 2. U-Boot-Lehrdivision befanden, die von Kiel aus wieder in den Kriegseinsatz geschickt werden sollten – warum mit solchen Details aufhalten? Diese Schiffsglocke ist also eine einzige Anklage, sie steht für den Anspruch: wir, die Deutschen, sind die Opfer.
Ginge es um Frieden und Völkerverständigung, dann stünde am Ende der Ausstellung vielleicht der 2+4-Vertrag, der deutsch-polnische Grenzvertrag, die Ost-Verträge Willy Brandts als wichtiger Schritt der Versöhnung, mit denen erstmals die Oder-Neiße-Grenze als deutsche Ostgrenze akzeptiert wurde.
Stattdessen wird als Beispiel für „Dialog“ wie der letzte Teil der Ausstellung übertitelt ist, die Charta der Heimatvertriebenen angeführt. Dort heißt es, und das wird zitiert: „Wir Heimatvertrieben verzichten auf Rache und Vergeltung“. Dieser Satz ist ein einziger Zynismus. Die übergroße Mehrheit der Unterzeichner der „Charta“ waren ehemalige ranghohe Funktionäre von NSDAP, SS, SA und des nationalsozialistischen Regimes. Vom SS-Obersturmbannführer bis zum Gauleiter war alles dabei.
Trotz dieser historisch sehr zweifelhaften Darstellung des Themas Vertreibung steht diese Ausstellung kaum in der Kritik. Medienvertreter und Politiker erzählen die Mythen der Ausstellungsmacher nach. Erika Steinbach, unermüdliche Kämpferin für die Sache der Vertriebenen, fühlte sich also ermutigt nachzulegen. In dem zukünftigen Ausstellungskern des „Zentrums gegen Vertreibungen“ für die deutschen Vertriebenen sollen die Ausstellung „Erzwungene Wege“ mit der Ausstellung „Flucht. Vertreibung. Integration“ zusammengelegt werden, aber nicht nur das: ergänzend soll noch eine Ausstellung über die Siedlungsgeschichte der Deutschen hinzukommen. So stellt man sich also das Zentrum gegen Vertreibungen vor: als die blühende Geschichte Großdeutschlands, die durch die Rote Armee brutal beendet wurde. Mitten in Berlin soll den völkischen Romantikern und den Nazis von gestern und heute ein neuer Wallfahrtsort geschaffen werden.
Von Bundestag und Bundesregierung ist ein deutliches Signal gefordert, dass es für dieses Projekt keinerlei finanzielle Mittel und keine sonstige Unterstützung geben wird. Die Förderung der Vertriebenenverbände, die mit jährlich zig Mio. Euro zu Buche schlägt, muss beendet werden. Was wir brauchen, ist ein deutliches Zeichen mitten in Berlin gegen die Relativierung deutscher Verbrechen und gegen deutsch-völkische Gefühlsduselei!