DIE LINKE ist der Überzeugung, dass es auch zur Überwachung von Neonazis keines demokratisch unkontrollierbaren Geheimdienstes braucht. Nicht zuletzt die Enthüllungen zur Rolle der Verfassungsschutzämter im Zusammenhang mit den Naziterroristen des NSU und das Scheitern des ersten NPD-Verbotsverfahrens an der Durchsetzung der faschistischen Partei mit Spitzeln des Geheimdienstes haben bewiesen, dass der Verfassungsschutz die Neofaschisten personell und finanziell mehr unterstütz als bekämpft hat. Aussagen von Verfassungsschutzmitarbeitern vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zur NSU-Affäre aber auch schon der Blick in die Verfassungsschutzberichte macht deutlich, dass gleichzeitig die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes zum Rechtsextremismus sehr eingeschränkt sind. Oft scheinen örtliche Antifa-Initiativen ein detaillierteres Wissen über neofaschistische Strukturen vor Ort zu haben, wie die staatlichen Behörden. Ein weiteres Manko an der Arbeit des Verfassungsschutzes ist sein eingeschränkter und durch die unwissenschaftliche Extremismustheorie getrübter Blick. Linke Antikapitalisten und Neonazis werden hier kurzerhand als „Extremisten“ gleichgesetzt, weil sie sich bei außerparlamentarischer Kampfformen bedienen und Kritik am „demokratischen Verfassungsstaat“ in seiner derzeitigen Form bringen. Dass Linke Demokratie und Grundrechte im Namen der Gleichheit aller Menschen ausweiten wollen, während Neonazis von einer Ungleichwertigkeit der Menschen ausgehend die Demokratie abschaffen wollen, wird bei diesem Modell ignoriert. Ebenso fehlt aufgrund dieser extremismustheoretischen Sichtweise eine Einordnung von Neofaschismus und Fremdenfeindlichkeit in größere gesellschaftliche und politische Zusammenhänge. Der Grau – oder besser Braunbereich, in dem sich offen faschistische Gruppierungen mit Positionen treffen, die auch am rechten Rand der Unionsparteien oder von SPD-Mann Thilo Sarrazin vertreten werden, bleiben bei der Analyse der Verfassungsschutzämter ausgeblendet. So weigert sich die Bundesregierung nach wie vor, die Deutsche Burschenschaft trotz deren mehrheitlich von den Mitgliedsbünden mitgetragenen völkisch, revanchistisch und geschichtsrevisionistischer Positionen auch nur als rechtsextremistisch beeinflusst zu sehen. Gleiches gilt für die sogenannten Vertriebenenverbände oder die fremdenfeindlich argumentierende Islamhasser-Szene.
Zwar schreiben das Grundgesetz sowie einige Landesverfassungen die Einrichtung von Behörden zum Schutz der Verfassung vor. Doch nirgends steht, dass dies zwingend Geheimdienste sein müssen. Es geht der LINKEN daher darum, die Verfassungsschutzämter als Geheimdienste abzuschaffen und durch öffentlich und wissenschaftlich arbeitende Beobachtungs-, Forschungs- und Beratungsstellen zum Bereich der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu ersetzen.
Die Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle gegen Rechtsextremismus wurde übrigens bereits einmal vom Bundestag beschlossen. Am 30. März 2001 stimmten die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und PDS gemeinsam für einen Antrag „gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus“ Die Bundesregierung wurde darin vom Parlament beauftragt, „den organisierten Rechtsextremismus und die so genannte „Neue Rechte“ mit allen Mitteln des demokratischen Rechtsstaates zu bekämpfen“. Sie sollte auch prüfen, „ob und gegebenenfalls wie analog zur Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zur frühzeitigen Erkennung von Problemlagen und der Sensibilisierung der Öffentlichkeit die Einrichtung einer entsprechenden Beobachtungsstelle in der Bundesrepublik Deutschland unterstützt werden kann“. Zu einer Umsetzung dieser Forderung ist es niemals gekommen – lediglich die PDS und ihre Nachfolgepartei DIE LINKE haben sie regelmäßig erneut erhoben.
Im Bundestrag stellte DIE LINKE kurz nach Aufdeckung der Naziterrororganisation NSU im Dezember 2011 den Antrag: V-Leute in der Naziszene abschalten und Unabhängige Beobachtungsstelle Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus einrichten“ (Bundestag Drs. 17/7981)
Darin heißt es über eine solche Beobachtungsstelle:
Vor dem Hintergrund der Mord- und Gewaltserie von Neonazis des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds und des ganz offensichtlichen Versagens der Verfassungsschutzbehörden sieht es der Bundestag als dringend erforderlich an, die Beobachtung der rechtsextremen Szene auf eine neue Grundlage zu stellen. Es darf nicht länger den fragwürdigen Arbeitsmethoden des Verfassungsschutzes vorbehalten sein, die Öffentlichkeit über die Strukturen und Gefahren der extremen Rechten zu informieren. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine zentrale Stelle, die die verstreuten Erkenntnisse zur Entwicklung der extremen Rechten unter gesellschafts- politischen Gesichtspunkten zusammenfasst und einschätzt. Dies meint eine Gesamtbetrachtung jenseits der eingeschränkten Aufgaben des Verfassungsschutzes. Aufgrund der besorgniserregenden Entwicklung der extremen Rechten aber auch eines weit verbreiteten Rassismus und der zunehmenden Ausgrenzung minoritärer Gruppen ist eine solche Unabhängige Beobachtungsstelle, die dem Deutschen Bundestag regelmäßig Bericht erstattet, nötig und überfällig. Während der Sicherheitsdiskurs zum Thema islamistischer Terrorismus allgegenwärtig ist und zuzahlreichen Verschärfungen der Sicherheitsmaßnahmen führte, werden die ganz realen und alltäglichen Bedrohungen für zahlreiche Menschen in diesem Land nur aus Anlass spektakulärer Übergriffe erwähnt. Von1990 bis heute sind nach Recherchen unabhängiger Projekte und Journalisten über 140 Menschen von rechtsextremen Gewalttätern getötet worden. Diese alltägliche Gewalt der extremen Rechten unabhängig zu dokumentieren, ein realistisches Bild der Lage im Bereich Rechtsextremismus zu zeichnen, Vorschläge zur Prävention und für die Entwicklung zivilgesellschaftlicher Handlungsstrategien sowie der Erarbeitung pädagogischer Konzepte zumachen, sollen Aufgaben der Unabhängigen Beobachtungsstelle sein.
DIE LINKE im Thüringer Landtag ging noch einen Schritt weiter und legte im März 2012 einen Gesetzentwurf „zur Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz und Neuordnung der Aufgaben zum Schutz verfassungsrechtlicher Grundwerte“ vor. (Thüringer Landtag Drs. 5/4161)
Darin heißt es:
„Zeitlich parallel zur Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz wird eine Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokratie als oberste Landesbehörde in der Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts eingerichtet. Damit wird der verfassungsrechtlich vorgegebenen Errichtungspflicht einer Behörde ausreichend Genüge getan. Die Informations- und Dokumentationsstelle übernimmt einerseits die durch Bundesgesetz verpflichtende Zusammenarbeit mit Behörden anderer Bundesländer. Da ihr aber keinerlei nachrichtendienstliche Befugnisse zuerkannt werden, gestaltet sich die Art und der Umfang an den in diesem Gesetz beschriebenen Aufgaben und Befugnisse und werden gegebenenfalls durch diese selbst beschränkt. Schwerpunktmäßige Aufgabe der Informations- und Dokumentationsstelle ist die Dokumentation neonazistischer und anderer gegen die Grundsätze der Verfassung gerichteter Aktivitäten in Thüringen sowie die Beratung von zivilgesellschaftlichen und staatlichen Akteuren bei der Auseinandersetzung mit neonazistischen, rassistischen und antisemitischen Einstellungen sowie ihrer strukturellen und öffentlichen Erscheinungsformen. Zu diesem Zwecke arbeitet sie wissenschaftlich, ist befugt, mit Dritten zusammenzuarbeiten, informiert im Rahmen ihrer Verantwortung zu Aufklärung über Inhalt, Wirkungsweise und Verbreitung von neonazistischen, rassistischen und antisemitischen Einstellungen öffentlich. Der Informations- und Dokumentationsstelle für Menschenrechte, Grundrechte und Demokatie wird ein Beirat zugeordnet, der sich nur zu einem Teil aus Mitgliedern des Thüringer Landtags zusammensetzt. Die Zusammenarbeit und die Aufgaben des Beirates werden im Gesetz beschrieben.“
Spionageabwehr und Proliferation
Bisher ist der Verfassungsschutz auch für die Bereiche Spionage und Proliferation (Verbreitung von Massenvernichtungswaffen bzw. der dafür notwendigen Technologie und des Know How) zuständig. Dabei handelt es sich um Straftaten, deren Bekämpfung in den Aufgabenbereich der Polizei fällt. Bei Auflösung der Verfassungsschutzämter müssten also beim BKA und den Landeskriminalämtern Abteilungen zur Spionagebekämpfung eingerichtet werden bzw. die schon damit befassten Abteilungen ausgebaut werden.