Rede zur abschließenden Beratung des Antrags der Fraktion DIE LINKE „Umfassende Visaliberalisierungen für Menschen in Russland und Osteuropa“ auf 17/9191
In unserem Antrag fordern wir die Visafreiheit für Menschen aus der Russischen Föderation und den Ländern der Östlichen Partnerschaft, und auf dem Weg dahin eine sofortige Liberalisierung der Visa-Vergabe in den deutschen Auslandsvertretungen. Um dies gleich zu Beginn klarzustellen: Unsere Forderung nach Visaliberalisierungen und Visumfreiheit ist nicht auf bestimmte Länder beschränkt und gilt allgemein.
Das visafreie Reisen zwischen der EU und der Russischen Föderation sowie den Staaten der Östlichen Partnerschaft ist seit Jahren erklärtes Ziel in der Zusammenarbeit beider Seiten. Die EU hat die Visumfreiheit bereits fest zugesagt. Vor diesem Hintergrund ist es schlicht inakzeptabel, dass die deutsche Politik dieses Ziel in vielfacher Hinsicht konterkariert. Sowohl Einzelpersonen, die ihre Verwandten in Deutschland besuchen wollen, als auch Vereine, Verbände und Unternehmen beklagen die äußerst restriktive Vergabepraxis an den deutschen Auslandsvertretungen. Gerade für Angehörige könnte eine wesentliche Erleichterung geschaffen werden, wenn ihnen deutlich häufiger als bislang Mehrjahresvisa ausgestellt würden. Leider gehen die Auslandsvertretungen mitunter den gegenteiligen Weg: wer jahrelang problemlos Verwandte in Deutschland besuchen konnte, bekommt auf einmal wegen vermeintlich fehlender Rückkehrbereitschaft kein Visum mehr. Andere EU-Staaten machen deutlich häufiger von der Möglichkeit Gebrauch, Mehr-Jahres-Visa zu vergeben.Beklagenswert sind auch die extrem langen Wartezeiten und das aufwendige Antragsverfahren für ein Visum. Das Visumverfahren wollen wir hinsichtlich der geforderten persönlichen Unterlagen erleichtern, auf die persönliche Vorsprache soll soweit möglich verzichtet und bevorzugt sollen Mehrjahresvisa erteilt werden. Die Wartezeiten müssen durch eine bessere personelle Ausstattung der Auslandsvertretungen gesenkt, auf Einladungsschreiben soll weitgehend verzichtet und das Reisebüroverfahren ausgeweitet werden. Es ist schon erstaunlich, dass sich DIE LINKE hiermit im Einklang mit Forderungen der deutschen Wirtschaft befindet, während in der Koalition vor allem die Innere-Sicherheits-Fanatiker die Politik bestimmen. Laut einem Bericht der EU-Kommission vom November 2012 könnten Visaerleichterungen bis zum Jahr 2015 EU-weit Mehreinnahmen von bis zu 60 Milliarden Euro und bis zu 500.000 Arbeitsplätze erbringen, allein in der Tourismusbranche. Doch weder ökonomische noch humanitäre Aspekte scheinen die Bundesregierung in dieser Frage zu interessieren.
Ich will auf zwei Punkte noch einmal gesondert zu sprechen kommen, weil es hier nicht nur um eine beklagenswerte Abwehrhaltung der Politik, sondern um klare Rechtsbrüche in der deutschen Visapraxis geht: überlange Wartezeiten und der Einsatz privater Dienstleister. Die im EU-Visakodex vorgegebene maximale 2-Wochen-Wartefrist für einen Vorsprachetermin zur Antragstellung wird gerade in Bezug auf Russland schon seit Jahren deutlich und lang andauernd überschritten, obwohl dies nur in Ausnahmefällen zulässig wäre. Visa-Antragsteller in Moskau warteten im Mai diesen Jahres 11 Wochen auf eine Vorsprache in der Visastelle, in Jekaterinburg 8,5 Wochen. In beiden Auslandsvertretungen wurde die Antragsannahme auch an kostenpflichtige externe Dienstleister ausgelagert.Eigentlich ist die Auslagerung an externe Dienstleister im Visa-Kodex nur als letztes Mittel vorgesehen, wenn anders eine fristgemäße Bearbeitung der Visa-Anträge nicht mehr möglich ist. Die Bundesregierung setzt diese externen Dienstleister aber systematisch ein, um die massiven Personalkürzungen an den deutschen Auslandsvertretungen auszugleichen. Bei den Visumantragstellern wird der Eindruck erweckt, sie könnten ihr Visum nur noch über die teuren externen Dienstleister beantragen, obwohl das ein Verstoß gegen den Visa-Kodex wäre. Trotz eines Anstiegs der Zahl der Visaanträge um 18 Prozent wurde in den Jahren 2009-2012 zum Beispiel 15 Prozent des Personals in der Visabearbeitung an den deutschen Auslandsvertretungen in Russland eingespart. Dies läuft ebenfalls ganz klar den Anforderungen des Visa-Kodex entgegen, der von den EU-Staaten eine ausreichende personelle Ausstattung der Visastellen fordert. Die Bundesregierung muss diese systematischen Verstöße gegen den EU-Visakodex sofort einstellen. Meine Fraktion hat die EU-Kommission über die rechtswidrigen deutschen Praktiken im Visumverfahren unterrichtet, und ich hoffe, dass die Kommission wirksamen Druck ausüben und notfalls ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland einleiten wird.
Die Fraktion DIE LINKE will es bei den angestrebten Visa-Erleichterungen wie gesagt nicht bei Russland belassen. Die Zahlen zur Erteilung und Ablehnung von Visa in den deutschen Auslandsvertretungen weltweit zeigen eine soziale Selektivität des Visumverfahrens. In den ärmeren Staaten wird bei bestimmten Personengruppen offenkundig regelmäßig davon ausgegangen, dass Antragstellerinnen und Antragsteller ohnehin nicht beabsichtigen, in ihr Herkunftsland zurückzukehren. Pauschal wird eine fehlende Rückkehrbereitschaft unterstellt, was die Betroffenen nur mit einem hohen regelmäßigen Einkommen und dem Besitz von Grundeigentum widerlegen können. Selbst umfangreiche familiäre Bindungen im Herkunftsstaat reichen oft nicht, um die Rückkehrbereitschaft belegen zu können. Regelmäßig begegnen mir in meinem Wahlkreis solche Fälle, wo Besuche bei Verwandten in Deutschland durch die schematisch unterstellte fehlende Rückkehrbereitschaft verhindert werden. Auch an dieser Stelle ist von der durch Bundeskanzlerin Merkel ausgerufenen Willkommenskultur in der Migrationspolitik nichts zu merken. Ich fordere von der Koalition: stellen Sie endlich die Weichen für eine liberale und weltoffene Visumspolitik und stimmen Sie unserem Antrag zu!