Kurz nach Mitternacht lag dem Bundestag in der Nacht zum Freitag ein Gesetzentwurf der schwarz-gelben Bundesregierung »zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten« zur Abstimmung vor. Eigentlich geht es um die Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Union zur Bekämpfung des Menschenhandels. Doch der Antrag entpuppt sich als großangelegter Angriff auf die erst unter der SPD-Grünen-Regierung im Jahr 2002 erfolgte Legalisierung von Prostitution als Gewerbe.
Angst vor Rache
Dem Anliegen, Menschenhandel und Zwangsprostitution zu bekämpfen, wird der Regierungsantrag schon deswegen nicht gerecht, weil er hierzu nur strafrechtliche Aspekte beinhaltet, während Prävention und Opferschutz völlig außen vor bleiben. Solange den Betroffenen kein gesicherter und eigenständiger Aufenthaltstitel in Deutschland zugesprochen wird, sind die Täter durch die Angst der Opfer geschützt. Ein Änderungsantrag der Grünen fordert zwar ein solches Aufenthaltsrecht, doch die Grünen machen die Aussagebereitschaft der Opfer in einem Strafverfahren als Bedingung hierfür. Die Linksfraktion kritisiert, daß dies die Angst der Opfer vor Racheakten an ihnen oder ihren Familien in ihrer Heimat ebenso ignoriert, wie Traumatisierungen oder die Angst, in einem Strafverfahren erneut zum Opfer zu werden. Das Prostitutionsgesetz habe der Rotlichtkriminalität Vorschub geleistet, rechtfertigte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Hans-Peter Uhl (CSU), die mit diesem Antrag vorgenommenen Reglementierungen des Prostitutionsgewerbes. So werden Prostitutionsstätten nun in den Katalog überwachungsbedürftiger Gewerbe aufgenommen. Ihre Genehmigung kann von schwammig formulierten Behördenauflagen zum Schutz der Allgemeinheit, der Kunden, der Prostituierten oder der Nachbarn vor Gefahren, erheblichen Nachteilen oder erheblichen Belästigungen abhängig gemacht werden. Damit wird suggeriert, daß hier bislang ein rechts- und kontrollfreier Raum herrschte. Doch in Wirklichkeit unterliegt Prostitution bereits seit Jahrzehnten einer so engmaschigen Kontrolle und einem so ausgeprägten strafrechtlichen Sonderschutz, wie sonst kaum ein anderes Gewerbe. In den vergangenen zwölf Jahren gab es nach einer Razzien-Statistik von »Doña Carmen – Verein für soziale und politische Rechte von Prostituierten« 280 Großrazzien bei 6500 Objekten in 646 Gemeinden, bei denen 60000 Ermittler 42000 Personen kontrollierten.
In unzulässiger Weise vermischt der Regierungsantrag Prostitution mit den Themen »Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung« und Zwangsprostitution. Der legale Bereich der eigenständig arbeitenden und selbstbestimmten Sexarbeiterinnen- und Sexarbeiter wird dabei völlig ausgeblendet. Doch eben diese Prostituierten sollen zukünftig verschärften Kontrollen und Behördenwillkür ausgesetzt werden. Auch die Grünen wollten in einem Änderungsantrag das unter ihrer Mitregierung verabschiedete Prostitutionsgesetz nun zum Schutz der Frauen und verbindlicher Arbeits- und Hygienestandards so nachbessern, daß Prostitutionsstätten künftig der Erlaubnis der zuständigen Behörden bedürfen.
»Zu Tode schützen«
»Bei so viel ›Schutz‹ ist eines sicher: Die Rechte der Prostituierten kommen unter die Räder, man will sie zu Tode schützen«, warnte Doña Carmen in einem Appell an die Bundestagsabgeordneten vor einer Verschärfung des Prostitutionsgesetzes. Neben einem staatlichen Interesse an einer verschärften Migrationsbekämpfung und einem polizeilichen Interesse an einer Ausweitung von Kontroll- und Überwachungsbefungnissen sieht die Prostituiertenvereinigung dahinter »das nicht zu unterschätzende kirchliche Interesse an einer Politik, die langfristig auf die Abschaffung von Prostitution hinausläuft«. Ein solches »moralisches Rollback« sei mit ihr nicht zu machen, erklärte die Linksfraktion dazu.
Die Zahl der Prostituierten in Deutschland beträgt nach Schätzungen rund 400000, davon arbeiten 150000 in Vollzeit. Über die Hälfte der Prostituierten sind ausländischer Herkunft, vor allem aus Osteuropa. Die Anzahl der Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ist seit Jahren rückläufig, wie die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Grünen zugab. Im Jahr 2011 wurden von der Polizei 640 Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung festgestellt. Das ist gegenüber dem Jahr 2000 ein Rückgang von 30 Prozent.
erschien in: junge Welt 28.6.2013