Nach dem Tod Hunderter Bootsflüchtlinge vor Lampedusa wird in Europa Betroffenheit geheuchelt. Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström gab sich »entsetzt«, EU-Regionalkommissar Johannes Hahn sprach von einer »Tragödie«, Europa müsse »wirklich traurig sein«. Doch die Reflexe sind die gleichen wie immer, wenn es um das Sterben an Europas Grenzen geht. Malmström forderte zuallererst, die Anstrengungen im »Kampf gegen kriminelle Netzwerke, die die Verzweiflung der Menschen ausnutzen«, zu verstärken. Als ob es die Fluchthelfer wären, die sich die Grundlage ihres Geschäfts geschaffen haben: die Abschottung der europäischen Grenzen.
Auch der Bundespräsident meldete sich zu Wort. Die Flüchtlinge »hineinsegeln zu lassen in einen vorhersehbaren Tod, mißachtet unsere Grundwerte«, so Joachim Gauck bei einer Rede in Berlin. Wie immer bei den salbungsvollen Worten des Bundespräsidenten muß man auch hier die Begriffe prüfen: Es ist der gleiche Zynismus, mit dem die Bundesregierung behauptet, die Maßnahmen der europäischen Abschottungsagentur FRONTEX an der türkisch-griechischen Küste dienten gar nicht der Abschottung, sondern einer geordneten Registrierung und Aufnahme Schutzsuchender.
Zugleich wird von FRONTEX mit Hochdruck am Aufbau eines Systems für die Überwachung der südlichen Seegrenzen der EU namens EUROSUR gearbeitet. Der Entwurf einer Verordnung zur Einrichtung von EUROSUR, der zur Zeit zwischen dem EU-Rat und dem Europäischen Parlament verhandelt wird, erwähnt die Seenotrettung nur »unter ferner liefen«. In erster Linie geht es darum, Flüchtlingsboote schon vor der nordafrikanischen Küste zu entdecken. Dort sollen sie abgefangen und zurückgebracht werden. Für den Schutz der Flüchtlinge sollen dann Staaten wie Libyen und Tunesien verantwortlich sein, die sich ihren Dienst an der europäischen Flüchtlingsabwehr mit EU-Geldern in Millionenhöhe vergolden lassen.
Urheber des Gedankens, den Schutz für Flüchtlinge den Nachbarn an den eigenen Grenzen aufzubürden, ist die Bundesrepublik. Seit sie mit der Abschaffung des Rechts auf Asyl 1993 und der Einführung der Drittstaatenregelung die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz an ihre Nachbarländer delegiert hat, hat sie auch den restriktiven Umgang mit Flüchtlingen exportiert: Lagerunterbringung, Beschränkung der Bewegungsfreiheit, Abschiebehaft bis zu 18 Monaten, Inhaftierung wegen illegalen Grenzübertritts und eingeschränkter Rechtsschutz gegen Entscheidungen gehören mittlerweile in der ganzen EU zum Standard. Daß Asylsuchende in Griechenland, Bulgarien oder Italien unter elenden Bedingungen ohne Zugang zu einem fairen Asylverfahren gehalten werden, ist unmittelbares Ergebnis der deutschen Abschottungs- und Abschreckungspolitik gegen Menschen in Not.