Noch mehr Abschottung – das ist die zynische Konsequenz, die EU-Politiker aus der Flüchtlingskatastrophe vor Lampedusa ziehen. Als Hardliner tritt insbesondere Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) auf, der nun auch die Reisefreiheit für EU-Bürger wieder einschränken will.
Verbesserungen am Asylsystem, etwa durch freie Wahl des EU-Landes, in dem Schutzsuchende ihr Asylverfahren betreiben, lehnt Friedrich kategorisch ab. Die Regeln blieben »selbstverständlich« unverändert, sagte er am Dienstag am Rande eines EU-Justiz- und Innenministertreffens in Luxemburg. Insbesondere Griechenland und Italien sehen sich mit der Aufnahme von Flüchtlingen überfordert. Die anderen EU-Staaten lehnen es ab, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.
Der Tod von vermutlich über 300 Menschen, die am Donnerstag bei ihrer Flucht aus Nordafrika im Mittelmeer ertranken, dient der EU als Anlaß, die Grenzüberwachung auszuweiten. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström forderte gestern »eine große Frontex-Operation im gesamten Mittelmeer von Zypern bis Spanien«, angeblich zur Seenotrettung. Flüchtlingsorganisationen berichten aber immer wieder, daß Schutzsuchende von Grenzpolizisten gewaltsam zur Umkehr gezwungen werden. Malmströms Forderung dürfte jedoch vor allem am mangelnden Willen der EU-Staaten zur Finanzierung scheitern. Friedrich verwies darauf, daß im Dezember das neue Grenzüberwachungssystem Eurosur in Betrieb gehe, das allerdings ausschließlich der Kontrolle dienen soll. Die Forderung des Europaparlaments, es auch zur Rettung Schiffbrüchiger einzusetzen, war von den EU-Regierungen abgelehnt worden.
Friedrich fordert eine stärkere Kriminalisierung des »Schleuserwesens«. Es dürfe nicht möglich sein, Flüchtlinge »auf diesen unglaublich unsicheren Booten aufs Mittelmeer zu schicken«. Außerdem, so der Minister, sollten die afrikanischen Staaten die Flüchtlingssituation bei sich verbessern. Die Linksfraktion wies in einer Presseerklärung darauf hin, es sei gerade die aggressive Freihandelspolitik der EU, die Menschen zur Flucht und in die Hände von Schleusern zwinge. Auf konkrete Maßnahmen hatten sich die EU-Minister bis jW-Redaktionsschluß nicht geeinigt.
Zugleich legte sich Friedrich an anderer Stelle mit der EU-Kommission an: Es müsse endlich Schluß mit dem »Mißbrauch des Freizügigkeitsrechts« innerhalb der Union sein. Gemeint ist damit ein angeblicher Zustrom vor allem von Rumänen und Bulgaren nach Deutschland, die in betrügerischer Weise Sozialleistungen erschleichen wollten. Friedrich will dem mit Ausweisungen und Wiedereinreisesperren entgegentreten. Die Süddeutsche Zeitung stellte gestern Zahlen der Bundesagentur für Arbeit vor, die diese Behauptungen nicht belegen: Der Anteil von Kindergeldempfängern mit bulgarischer oder rumänischer Staatsangehörigkeit ist zwar im vorigen Jahr gestiegen, liegt aber bei 0,4 Prozent aller Empfänger, bei Hartz IV beträgt der Anteil 0,6 Prozent. Probleme gibt es allenfalls in wenigen Großstädten. Angesichts dieser Zahlen, die keinerlei justiziablen »Mißbrauch« der Sozialleistungen belegen, bezeichnete EU-Justizkommissarin Viviane Reding die deutschen Forderungen nach Einschränkung der Freizügigkeit als »populistische Bangemacherei«.