Die Abschaffung der Prostitution hat sich Alice Schwarzer, Herausgeberin der feministischen Zeitschrift Emma, zum Ziel gesetzt. Ein Appell, der sich neben diesem Fernziel kurzfristig für eine »Änderung des Zuhältergesetzes« sowie die »Ächtung und wenn nötig, auch Bestrafung der Freier« stark macht, ging in dieser Woche den Bundestagsabgeordneten zu. Unter 90 prominenten Erstunterzeichnern finden sich etwa Schauspielerin Senta Berger, Liedermacher Reinhard Mey und Schriftstellerin Monika Maron, Kabarettist Georg Ringsgwandl, Theologin Margot Käßmann, CDU-Politiker Heiner Geißler und die ehemalige DGB-Vizevorsitzende Ursula Engelen-Kefer.
Unter dem Vorwand des Schutzes der Menschenwürde von Prostituierten bläst Schwarzer zum Angriff auf die unter der SPD-Grünen Regierung 2002 vorgenommene Reform des Prostitutionsgesetzes. Dieses Gesetz, mit dem Prostitution erstmals als legales Gewerbe anerkannt wurde, trage die »Handschrift der Frauenhändler und ihrer LobbyistInnen«, behauptet die Emma-Herausgeberin. Seitdem sei Deutschland »zu Europas Drehscheibe für Frauenhandel und zum Paradies der Sextouristen aus den Nachbarländern geworden«. Polizei und Justiz seien »die Hände gebunden gegen den mit der Prostitution unlösbar verknüpften Menschenhandel«, heißt es im Anschreiben an die Abgeordneten. Das Problem sei »mindestens von der gleichen sexualpolitischen Brisanz wie die Pädophilie«.
Hier wird nicht nur in unzulässiger Weise Sexarbeit per se mit Frauenhandel, Zwangsprostitution und sogar Pädophilie in Verbindung gebracht. Schwarzers Behauptung, das Prostitutionsgesetz begünstige Menschenhandel, läßt sich nicht belegen. Im Gegenteil: als es 2002 in Kraft trat, wies die polizeiliche Kriminalitätsstatistik noch 776 mutmaßliche Opfer der »Ausbeutung von Prostitution« auf. Zehn Jahre später waren es nur noch 58. Von 793 mutmaßlichen Opfern des Delikts »Zuhälterei« ging die Zahl auf 267 im Jahr 2012 zurück. Von 988 mutmaßlichen Opfern von »Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung« sank diese Zahl innerhalb von zehn Jahren auf 642. Das sind Promilleangaben im Verhältnis zu geschätzten 400000 – Schwarzer geht sogar von 700000 aus – Prostituierten.
Daß es Schwarzer nicht wirklich um die Opfer von Menschenhandel geht, zeigt ihre Forderung, lediglich denjenigen ausländischen Zwangsprostituierten Schutz vor Abschiebung zu gewähren, die bereit sind, als Zeuginnen gegen ihre Peiniger auszusagen. Diese Verknüpfung von Aussagebereitschaft und Aufenthaltsrecht ignoriert die Angst der Betroffenen, daß ihnen oder ihren Familienangehörigen in der Heimat Schaden zugefügt wird ebenso wie ihre mögliche Traumatisierung oder Abhängigkeit von den Tätern.
Bereits im Juni dieses Jahres hatte die schwarz-gelbe Regierungskoalition im Bundestag für einen Gesetzentwurf »zur Bekämpfung des Menschenhandels und Überwachung von Prostitutionsstätten« votiert. In unzulässiger Weise wurde darin die Thematik der Prostitution mit Straftatsbeständen »Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung« und Zwangsprostitution vermischt. Gleichzeitig sollte der legale Bereich eigenständig und selbstbestimmt arbeitender Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter verschärften Überprüfungen ausgesetzt werden. Die Einrichtung von Prostitutionsstätten sollte durch unpräzise formulierte Paragraphen einer behördlichen Genehmigungspflicht als überwachungsbedürftiges Gewerbe ausgesetzt werden. Damit wurde das Bestehen eines rechtsfreien Raums suggeriert, obwohl kaum ein Gewerbe bereits jetzt einer so ausgeprägten strafrechtlichen Kontrolle unterliegt und so regelmäßig zum Ziel polizeilicher Großrazzien wird, wie der Rotlichtbereich. »Bei so viel ›Schutz‹ ist eines sicher: Die Rechte der Prostituierten kommen unter die Räder, man will sie zu Tode schützen«, warnte die Prostituiertenvereinigung Doña Carmen vor einer Verabschiedung dieses Gesetzes, hinter dem sie »das nicht zu unterschätzende kirchliche Interesse an einer Politik« vermutet, »die langfristig auf die Abschaffung der Prostitution hinausläuft« (siehe unten). In eine Anhörung im Bundestag waren sich alle Sachverständigen – von der Sexarbeiterin bis zum Vertreter der Polizei – in der Ablehnung dieses Gesetzentwurfes einig. Dieser erste Anlauf zur erneuten Kriminalisierung der Prostitution scheiterte schließlich zwei Tage vor der Bundestagswahl am SPD-Grünen-Veto im Bundesrat. Da der offizielle Anlaß der Gesetzesnovelle die Umsetzung einer EU-Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels war, kommt die Thematik in der neuen Legislaturperiode wieder auf die Tagesordnung des Bundestages.