Als Schlußfolgerung aus der NSA-Affäre strebt die Bundesregierung nun ein sogenanntes No-Spy-Abkommen mit den USA an. Darin sollen sich beide Seiten verpflichten, auf gegenseitiges Ausspionieren zu verzichten. Eine Kontrolle, daß sich jeder daran hält, ist praktisch nicht möglich.
Im Neonazisumpf
Enthüllt wurde auch, daß der Bundesnachrichtendienst (BND) dem US-Geheimdienst NSA millionenfache Telekommunikationsdaten aus der eigenen Fernmeldeaufklärung liefert. Nach Recherchen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International dienen solche Daten zur Lokalisierung von Zielen für tödliche US-Drohnenangriffe auf vermeintliche Terrorverdächtige in Afghanistan und Pakistan, bei denen oft auch zahlreiche unbeteiligte Zivilisten umgebracht wurden. Diese Datenweitergabe an die USA, bei der es sich aus Sicht der Linksfraktion um »Beihilfe zu Kriegsverbrechen« handelt, geht offenbar auf ein geheimes Abkommen zur Geheimdienstzusammenarbeit zurück, das der damalige – und wieder aktuelle – Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) im Jahr 2002 geschlossen hatte.
Nach immer neuen Erkenntnissen über die Verwicklung des Verfassungsschutzes und seiner V-Leute in den terroristischen Neonazisumpf hielt 2013 auch die öffentliche Kritik am Inlandsgeheimdienst an. Während Bürgerrechtsorganisationen wie die Humanistische Union, aber auch die Linkspartei die Abschaffung des Verfassungsschutzes als die einzige logische Konsequenz forderten, nutzten die regierenden »Sicherheitspolitiker« die Kritik, um die Machtbefugnisse im Apparat neu zu sortieren. Ohne den Abschlußbericht des Bundestagsuntersuchungsausschusses zur NSU-Affäre abzuwarten, präsentierte der letzte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) Ende Mai einen Gesetzentwurf zur Reform des Verfassungsschutzes. Das Bundesamt soll als Zentralstelle gegenüber den Ländergeheimdiensten gestärkt werden und auch ohne ihre Zustimmung in deren Zuständigkeitsbereich tätig werden können. Bedenken von Länderseite gegen diese Stärkung des Bundesinlandsgeheimdienstes sind allenfalls föderalistischer Art. Statt die vielfach kriminellen V-Leute ganz abzuschaffen, soll es zukünftig einheitliche Qualitätsstandards und ein bundesweites Spitzelregister geben, um deren Einsatz ökonomischer zu regeln.
Nicht verzichten will die Bundesregierung auch in Zukunft auf die Überwachung ihrer politischen Opposition. Nach dem Auffliegen der Verstrickung der Verfassungsschutz-V-Leute in die Neonaziterrorszene ist die bis dahin pauschale Überwachung der Linkspartei aber auf ihre »radikalen Strömungen« beschränkt worden. Angekreidet werden den in der Verfassungsschutz-Sprachregelung »offen extremistisch« genannten Arbeitsgemeinschaften wie der Antikapitalistischen und der Sozialistischen Linken oder auch der AG Cuba Si! schon die Verwendung eines Marx-Zitats, das Eintreten für eine »solidarische Gesellschaft« oder die Kampagne »Milch für Cubas Kinder«. Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Spätsommer die frühere Überwachung des ehemaligen Linken-Bundestagsabgeordneten Bodo Ramelow für grundrechtswidrig. Doch weiterhin beobachtet der Verfassungsschutz mindestens 25 Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion, die einer der »extremistischen« Strömungen zugerechnet werden.
Flotteres Tempo
Was neue Überwachungsgesetze angeht, war das Tempo unter der schwarz-gelben Bundesregierung allerdings deutlich gedrosselt worden. Das lag zum einen daran, daß die bisherige FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger darauf bedacht war, ihre Partei als »Bürgerrechtspartei« zu profilieren. So blockierte sie vor allem das Projekt der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung als verdachtsunabhängiges Fahndungsmittel zur Erfassung von Telekommunikationsdaten von Millionen Bürgern.
Zum anderen lag diese Verlangsamung auch an einigen Gerichtsurteilen, die den Überwachungsfanatikern in die Quere kamen. Im April erklärte das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel eine Reihe von »mehrdeutigen und potentiell weiten Rechtsbegriffen« der 2007 eingeführten Antiterrordatei für verfassungswidrig. Das betraf vor allem die Willkürlichkeit der Kriterien, nach denen auch völlig unbescholtene Bürger als sogenannte Kontaktpersonen in die Nähe angeblicher Terroristen gebracht werden können. Die Richter störten sich darüber hinaus an der allzu legeren Datenübermittlung zwischen Polizei und Geheimdiensten. Aus bürgerrechtlicher Sicht ist das Urteil, das zugleich Auswirkungen auf das neue, nach dem Vorbild der Antiterrordatei aufgebauten Verzeichnis zum gewalttätigen Rechtsextremismus haben wird, zweischneidig: Zwar stellt es eine Schlappe für Friedrich und seinen Vorgänger Wolfgang Schäuble (CDU) dar, der die Datei noch unter der letzten großen Koalition eingeführt hatte. Doch beschränkt es sich auf ein Laborieren an Symptomen. Denn grundsätzlich hat das Bundesverfassungsgericht den Betrieb einer von 38 Sicherheitsbehörden gemeinsam genutzten Datei gebilligt und damit auch das Verwässern des grundgesetzlichen Trennungsgebotes von Polizei und Geheimdiensten erneut legitimiert.
Die neue große Koalition ist entschlossen, ein flotteres Tempo vorzulegen und einiges »nachzuholen«, hat aber hinsichtlich der Vorratsdatenspeicherung noch vor ihrer formalen Einsetzung einen Dämpfer erhalten: Die diesbezügliche EU-Richtlinie ist nach Einschätzung des Generalanwaltes des Europäischen Gerichtshofes im Rahmen eines laufenden Verfahrens europarechtswidrig – auch hier aber nicht grundsätzlich, sondern nur in der konkreten Ausformung. Dennoch wird das »Nachbessern« einige Zeit dauern. Auch nicht einfach dürfte das Vorhaben von Union und SPD werden, einen »verfassungskonformen« Trojaner zum Schnüffeln in Computerfestplatten zu entwickeln. Eine erste Gesetzesversion zu dieser Onlinedurchsuchung war ebenfalls vom Bundesverfassungsgericht kassiert worden.