Bei der Anordnung von Abschiebehaft für Asylsuchende kommt es in Hunderten, wenn nicht Tausenden Fällen zu Rechtsverstößen. Die Bundesregierung hat aber, wie aus ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag von Anfang Januar hervorgeht, dazu selbst keinen Überblick.
Die Parlamentarier hatten in ihrer Anfrage Zahlen des Hannoveraner Rechtsanwalts Peter Fahlbusch zitiert, der immer wieder Abschiebehäftlinge vertritt. Von 2002 bis November 2013 klagte er in 868 Fällen gegen eine Abschiebehaft. In 421 Fällen war er damit erfolgreich. Ein »rechtsstaatliches Desaster«, wie der Anwalt befand – für die Bundesregierung aber kein Problem: Eine nichtrepräsentative Erhebung bewerte sie nicht, und ansonsten erfolge die richterliche Anordnung einer Abschiebehaft »nur bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen«. Eigene Zahlen hat das Kabinett allerdings nicht, es verweist auf bekanntes Material aus dem Jahr 2012. Aktuelle Entwicklungen bleiben also unklar. So steigt beispielsweise der Anteil derjenigen Asylbewerber in Abschiebehaft, die nach der Dublin-Verordnung in einen anderen EU-Staat geschickt werden sollen. Denn diese Regel sieht vor, daß Asylanträge ausschließlich im Land der Ersteinreise in die EU bearbeitet werden. Nach Schätzungen des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes sind 60 oder sogar 80 Prozent der Abschiebehäftlinge in Deutschland Asylsuchende, für die im Dublin-System noch die Zuständigkeit geklärt werden muß. »Diese Menschen suchen Schutz in Europa, und wir sperren sie ein«, kommentierte der Jesuiten-Flüchtlingsdienst.
Die Betroffenen werden meist an der Grenze aufgegriffen, deshalb ist für die Beantragung von Abschiebehaft die Bundespolizei zuständig. Aber selbst die erfaßt angeblich nicht, in wie vielen Fällen der Freiheitsentzug abgelehnt oder später wieder aufgehoben worden ist. Für Fahlbusch ist es »ein Armutszeugnis«, daß der Bundesregierung selbst in ihrem eigenen Zuständigkeitsbereich kein Zahlenmaterial zur Umsetzung von Abschiebehaft vorliegt. »Jeder Wackerstein, der auf irgendeinem Autobahnparkplatz verlegt wird, wird statistisch erfaßt. Nur im Abschiebungshaftrecht will man es lieber nicht so genau wissen«, so der Anwalt am Montag gegenüber jW. Die Linke findet es »empörend, mit welcher Ignoranz die Bundesregierung auf zahlreiche Rechtsbrüche bei der Verhängung von Abschiebungshaft reagiert«.
Einen möglichen Rechtsbruch hat auch der Bundesgerichtshof (BGH) in einer Entscheidung vom Juli 2013 festgestellt. Die derzeit praktizierte Unterbringung solcher Asylbewerber in normalen Strafanstalten verstoße wahrscheinlich gegen die EU-Rückführungsrichtlinie aus dem Jahr 2008, die Ende 2010 in Kraft trat. Zahlreiche Landgerichte hatten ähnlich geurteilt. Der BGH hat nun den Europäischen Gerichtshof (EuGH) um eine Auslegung der Richtlinie gebeten.
Zugleich ergab die Anfrage, daß die Namen von fast einer halben Million Menschen im Ausländerzentralregister mit einer unbefristeten Wiedereinreisesperre gespeichert sind. Damit wird belegt, wer aus der Bundesrepublik ausgewiesen wird – in den vergangenen Jahren jeweils gut 10000 Personen. Entgegen der einschlägigen EU-Rückführungsrichtlinie werden diese Einreisesperren nicht automatisch, sondern nur auf Antrag auf höchstens fünf Jahre befristet. Das hatte der EuGH gerügt – nun müssen über 400000 Wiedereinreisesperren nachträglich geprüft und gegebenenfalls aufgehoben werden.