Obwohl Oase unter schweren posttraumatischen Belastungsstörungen litt, wurde ihm eine adäquate Therapie aus Kostengründen verweigert. Die bayerische Ausländerbehörde erhöhte statt dessen den Druck auf Oase, sich bei der Botschaft Papiere für seine Abschiebung nach Uganda zu beschaffen – zurück in das Land, in dem seine Mutter vor seinen Augen ermordet worden war.
Der Tod dieses Flüchtlings ohne menschenwürdige Perspektive ist kein Einzelfall. In den vergangenen 21 Jahren begingen mindestens 176 Flüchtlinge angesichts drohender Abschiebungen Suizid, oder sie starben bei Fluchtversuchen aus der Abschiebehaft. Weitere 1271 Flüchtlinge verletzten sich aus Angst vor Abschiebungen oder bei Suizidversuchen. 451 wurden während der Abschiebung verletzt, und fünf starben bei der Abschiebung.
Akribisch dokumentiert werden diese Zahlen und die dahinterstehenden Schicksale von der Antirassistischen Initiative (ARI) in Berlin. Gerade ist die 21. aktualisierte Auflage der mittlerweile zwei Bände umfassenden, jährlich fortgeschriebenen ARI-Dokumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« erschienen. Recherchiert wurden neue Fälle aus den letzten Jahren anhand von Presse- und Polizeiberichten, Beobachtungen von Flüchtlingsinitiativen und Aussagen von Geistlichen in den Abschiebegefängnissen.
Viele Einzelbeispiele verdeutlichen, »mit welcher Gewalt die gesetzlichen Vorgaben von Behörden, Gerichten, Polizei, medizinischem Personal und anderen umgesetzt werden und mit wieviel Willkür und Menschenverachtung Flüchtlinge, gequält, ignoriert, schikaniert, isoliert und oft in Suizide oder zu Selbstverbrennungen getrieben werden«, erklärte die ARI bei der Vorstellung der neuen Auflage ihrer Dokumentation. Zu den Mitteln, mit denen die Behörden Flüchtlinge zur »freiwilligen« Ausreise zwingen wollen, gehören Erpressung, Schikanen, Rechtsbrüche und Betrug, aber auch Familientrennungen oder die Inhaftierung Minderjähriger.
Beklagt wird in der ARI-Dokumentation auch fehlende oder zu späte medizinische oder ärztliche Hilfe für Flüchtlinge. So verlor eine Schwangere im Oberallgäu im vergangenen August ihr Kind, weil sie zu spät vom Flüchtlingslager ins Krankenhaus gebracht wurde. Der 33jährige Cosmo S. aus Benin starb im April 2013 in Friedersdorf eines »natürlichen Todes« – auch er war viel zu spät ins Krankenhaus eingeliefert worden, so daß ihn eine Notoperation nicht mehr retten konnte. In der Flüchtlingsunterkunft Bernburg erstickte ein unter Asthma leidender Flüchtling. Viele Bewohner der Unterkunft hatten zuvor schon über Atemnot aufgrund von Schimmelbefall und Insektiziden geklagt.Und im bayerischen Erstaufnahmelager Zirndorf verweigerten im Dezember 2011 die Pförtner, ein Bereitschaftsarzt und eine Verwaltungsangestellte einem akut am lebensbedrohlichen Waterhouse-Friderichsen-Syndrom erkrankten, 15 Monate alten Baby die Hilfe. Per Anhalter und zu Fuß schafften die Eltern – serbische Roma – den Jungen ins Krankenhaus. Aufgrund der viel zu spät einsetzenden medizinischen Hilfe lag Leonardo P. monatelang im Koma, mußte mehrfach operiert werden und wird sein ganzes Leben unter den schweren körperlichen Schäden der Erkrankung leiden. Die verantwortlichen Mitarbeiter des Lagers Zirndorf wurden jetzt am 15. April wegen unterlassener Hilfeleistung und Körperverletzung durch Unterlassung zu Geldstrafen verurteilt (junge Welt berichtete). »Mit dem Asylbewerberleistungsgesetz leistet der Gesetzgeber solchen Straftaten Vorschub«, erklärte der stellvertretende Vorsitzende von Pro Asyl, Bernd Mesovic, nach diesem Urteil. Häufig maßen sich medizinisch inkompetente Bedienstete die Entscheidung darüber an, ob ein Flüchtling Anspruch auf eine ärztliche Behandlung hat.
Immer mehr Flüchtlinge sind nicht länger bereit, der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik als wehrlose Opfer gegenüberzustehen. Davon zeugt eine Welle von Flüchtlingsprotesten mit Platzbesetzungen wie auf dem erst kürzlich geräumten Oranienplatz in Berlin-Kreuzberg. Die Forderungen der Flüchtlinge lauten auf Bleiberecht und Abschaffung der Lagerunterbringung, der ihre Bewegungsfreiheit einschränkenden Residenzpflicht und anderer Sondergesetze. Bei diesen Protesten riskierten die Beteiligten ihre Gesundheit. 121 Mal mußten kollabierte Flüchtlinge nach lebensbedrohlichen Durststreiks in München und Berlin ins Krankenhaus eingeliefert werden.