Das Blatt berief sich dabei auf Angaben des Verteidigungsministeriums im Verteidigungsausschuß des Bundestags. Bislang hatte es geheißen, deutsche Soldaten hätten erstmals am 3. Januar 2002 das Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Potsdam informiert.
Aus »Verteidigungskreisen« in Berlin hieß es laut Berliner Zeitung zudem, daß auch die Botschaft der BRD in Washington am 4. Januar 2002 »Hinweise auf einen inhaftierten Deutschen im Gefangenenlager Kandahar« nach Berlin gemeldet habe. Das Auswärtige Amt verweigerte bislang jeden Kommentar.
Am Donnerstag beschäftigte sich der BND-Untersuchungsausschuß mit einem weiteren mutmaßlichen Entführungsfall aus dem Herbst 2001. Ein 70jähriger Deutsch-Ägypter soll damals auf einer Bosnien-Reise irrtümlicherweise für ein Al-Qaida-Mitglied gehalten und in einem US-Gefängnis in Tuzla mißhandelt worden sein. Nach Angaben der Berliner Zeitung hatte der Mann fast zwei Jahrzehnte lang in München gelebt.
Auf Bitten der US-Behörden sollen Beamte des BND und des Bundeskriminalamtes (BKA) damals nach Tuzla gereist sein, um den Mann zu vernehmen. Nachdem sie von der Mißhandlung des Mannes erfahren hätten, hätten sie sich aber geweigert, ihn zu vernehmen. Diese Mitarbeiter von BND und BKA sollten am Donnerstag vor dem Untersuchungsausschuß aussagen.
Außerdem einigte sich der Ausschuß gestern nach Angaben seines Vorsitzenden Siegfried Kauder (CDU) darauf, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) noch in diesem Jahr als Zeugen zum Fall Al Masri vorzuladen.
Am heutigen Freitag beschließt der Bundestag eine Erweiterung des Auftrags für den BND-Untersuchungsausschuß. Die Oppositionsfraktionen FDP, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen hatten sich schon vor einer Woche darauf geeinigt, auch die jahrelange Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst (BND) zum Gegenstand der Beweisaufnahme zu machen.
Im Fall des auf Guantánamo von den Amerikanern gefangengehaltenen Bremers Murat Kurnaz soll überprüft werden, ob die SPD-Grünen-Bundesregierung ein Angebot der USA, Kurnaz freizulassen, ausgeschlagen hat.
Bereits am Mittwoch hatte sich der Verteidigungsausschuß des Bundestags, der dies bei militärischen Angelegenheiten darf, als weiterer Untersuchungsausschuß bezüglich des Vorwurfs konstituiert, Bundeswehrsoldaten der »Eliteeinheit« KSK hätten Murat Kurnaz in Afghanistan mißhandelt. Damit sieht sich vor allem Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) unangenehmen Fragen ausgesetzt. Steinmeier war in der Regierung Schröder/Fischer als Staatssekretär Leiter des Kanzleramtes und damit auch für die Aufsicht über die Geheimdienste zuständig.
Kurnaz war im Januar 2002 bei einer Reise nach Pakistan von US-Amerikanern verschleppt worden. Medienberichten zufolge war das Kanzleramt schon im Herbst 2002 über eine Offerte der USA unterrichtet, den unschuldig und unter menschenrechtswidrigen Bedingungen auf Guantánamo inhaftierten türkischen Staatsangehörigen Murat Kurnaz freizugeben und nach Deutschland ausreisen zu lassen. Die Bundesregierung hat dies bis heute nicht dementiert.
Der damalige BND-Präsident August Hanning, heute Staatssekretär im Bundesinnenministerium, soll sich dagegen ausgesprochen haben, das Angebot der USA anzunehmen. Die Stadt Bremen hatte sogar ein Einreiseverbot verhängt. Daraufhin blieb Kurnaz noch bis Juli 2006 auf Guantánamo gefangen, wo er gedemütigt und gefoltert wurde. Die Staatsanwaltschaft Bremen hat mittlerweile ein Ermittlungsverfahren gegen Kurnaz wegen angeblicher Al-Qaida-Verbindungen eingestellt. Steinmeier wird sich fragen lassen müssen, warum er nicht genügend für die Freilassung von Kurnaz unternommen hat.
Artikel erschienen in junge Welt, 27. 10. 2006