Liebe Freundinnen und Freunde,
es ist zwar nur ein Zufall, aber während wir hier über den Inlandseinsatz der Bundeswehr reden, findet er gerade heute im ganzen Bundesgebiet statt. Heute ist Volkstrauertag, und überall machen sich Soldaten und Offiziere der Bundeswehr auf den Weg zu den Friedhöfen. Ich weiß nicht genau, wie es hier in Tübingen aussieht, aber auf dem so genannten Garnisonsfriedhof in Berlin-Neukölln hat heute Vormittag ein „Heldengedenken“ stattgefunden, das der Reservistenverband der Bundeswehr organisiert hat, und an dem auch zahlreiche Wehrmachts-Veteranen sowie Vertreter von faschistischen Parteien wie DVU und NPD anwesend waren. Bereits gestern Abend hat die Bundeswehr ein schauerliches Militärspektakel auf einem anderen Militärfriedhof in Berlin durchgeführt, mit Wehrmachtskarabinern in der Hand und das Ganze von Fackelschein erhellt.
Wenn es nach der CDU geht, wird dieser Spuk zum Alltag. Seit Jahren verlangen die Konservativen, die Bundeswehr auch für klassische Polizeiaufgaben im Inland verwenden zu können. Schutz von Gebäuden, Festnahme von Personen, Bewachung öffentlicher Plätze, die Jagd nach Terroristen – solche Vorschläge werden immer wieder lanciert, in der Absicht, nach und nach die Akzeptanz dafür zu schaffen.
Im Moment steht solchen Plänen das Grundgesetz im Weg. Es trifft zwei Feststellung für den Inlandseinsatz der Bundeswehr: Artikel 35 bietet die Möglichkeit der Amtshilfe. Bei einer Naturkatastrophe oder bei einem schweren Unglücksfall kann ein Bundesland die Streitkräfte anfordern. Die Bundeswehr darf dann auch „zur Unterstützung“ der Polizei tätig werden. Ansonsten dürfen Soldaten in Friedenszeiten keine Zwangsmittel einsetzen, außer zum Eigenschutz.
Den Inlandseinsatz im Spannungs- und Verteidigungsfall regelt Artikel 87a des Grundgesetzes. Die Bundeswehr darf dann zivile Objekte schützen, „zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen“ eingesetzt werden und gegen bewaffnete Aufständische vorgehen.
Wir können also festhalten: bei Naturkatastrophen und Unglücksfällen darf die Bundeswehr maximal als Hilfstruppe für die Polizei auftreten, ansonsten hat sie im Inland als bewaffnete Kraft nichts zu suchen, zumindest nicht in Friedenszeiten.
Für dieses weitgehende Verbot gibt es auch gute Gründe. Ich will jetzt hier keinen historischen Vortrag halten, aber kurz in Erinnerung rufen, dass Inlandseinsätze des Militärs vor allem in Deutschland immer im Dienste der Reaktion stattfanden. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“, hieß es 1848/49. In dieser Tradition standen auch die Freikorps, die 1918/1919 die Revolution niederschlugen, und die Reichswehr, als sie gegen Arbeiterbewegungen in den Jahren nach 1920 vorging und schließlich 1923 zur so genannten Reichsexekution gegen die SPD-KPD-Regierungen in Sachsen und Thüringen eingesetzt wurde. Im Dritten Reich war es vor allem die SS, die ja auch eine Streitkraft war und die als Ordnungsfaktor den Terror im Inneren durchführte.
Aus diesen historischen Erfahrungen heraus hat das Grundgesetz den Inlandseinsatz der Armee strikt begrenzt.
Diese Begrenzung will die Bundesregierung bekanntlich ändern. Bevor ich darauf eingehe, was derzeit in Planung ist, will ich einmal zusammenfassen, welchen Ist-Stand wir eigentlich in Sachen Inlandseinsätze haben. Wenn man da Bilanz zieht, kommt man schnell dahinter, dass die Bundeswehr viel häufiger in unseren Städten in Erscheinung tritt, als man das glauben möchte, nicht nur am Volkstrauertag.
Wir haben da zunächst den Bereich des Katastrophenschutzes. Das ist dann die Amtshilfe nach Artikel 35. Wenn man genauer hinsieht, erkennt man, dass die Bundeswehr keineswegs nur dann auf den Plan tritt, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Sie drängt sich vielmehr auch gerne selbst in den Vordergrund, wenn sie eine gute Reklamechance erkennt. Der Einsatz anlässlich der Vogelgrippe-Epidemie auf Rügen war beispielsweise nach Meinung professioneller Katastrophenschützer nicht wirklich nötig. Auch der SPD-Vorsitzende Kurt Beck bezeichnete diesen Rügen-Einsatz als „Theater“, aber es war zweifellos gut inszeniert.
Hinzu kommt, dass zivile Katastrophenschutzorganisationen systematisch kurzgehalten werden. Und wenn dann bestimmte Fähigkeiten, beispielsweise Notarztwagen oder Einheiten zur ABC-Dekontamination, gebraucht werden, dann ist die Bundeswehr auf einmal die einzige Einrichtung, die so etwas anbieten kann.
Ich will das mal an zwei Beispielen ausführen:
In Berlin klagt die Feuerwehr seit Jahren über die „schrottreifen“ Rettungswagen. Geld für neue Wagen ist angeblich nicht da. Unmittelbar vor der Fußball-WM hat dann das Bundeswehrkrankenhaus einen supermodernen High-Tech-Notarztwagen in Betrieb genommen, den auch die Feuerwehr nutzen kann. Ohne Bundeswehr geht nichts, ist die Botschaft.
Anderes Beispiel: der ABC-Schutz, also die Fähigkeit, atomare, chemische oder biologische Verseuchung zu erkennen und zu beseitigen. Solche Fähigkeiten waren auch zur Weltmeisterschaft gefordert. Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion erklärt, qualitativ könne der zivile Katastrophenschutz im ABC-Bereich „sowohl technisch als auch vom Ausbildungsstand der Einsatzkräfte her alle Aufgaben erfüllen.“ Aber: die erforderlichen Geräte stünden nicht zur Verfügung, und deswegen, so die Regierung, schaffe „die subsidiäre Unterstützung durch die Bundeswehr hier einen sinnvollen quantitativen Ausgleich.“
Ich lasse jetzt mal dahin gestellt, ob solche Fähigkeiten in dem Maße, wie sie vom Innenminister gefordert worden sind, überhaupt notwendig waren. Jedenfalls wurde an dem Sicherheitskonzept zur WM seit 2001 gearbeitet, es ist also völlig klar, dass die zivilen Katastrophenschützer an der kurzen Leine gehalten werden, damit dann die Bundeswehr als Retterin aus der Not auf den Plan treten kann.
Dieser Umstand wird auch von den zivilen Katastrophenschutzorganisationen kritisch vermerkt. Die Arbeitsgemeinschaft der Berufsfeuerwehren hat sich in einem Positionspapier explizit dagegen gewandt, der Bundeswehr eine tragende oder führende Rolle im Katastrophenschutz zu übertragen. Der Grund ist relativ einleuchtend: Wenn die Bundeswehr ins Ausland verlegt wird, und das passiert ja immer häufiger, kann man sich im Inland nicht auf ihre Hilfe verlassen. Der Wert der Bundeswehr für den Katastrophenschutz liege darin, „große Helferkontingente über längere Zeiträume“ bereitzustellen, sprich: Soldaten zum Sandsackschleppen abzustellen.
Man muss bei all dem berücksichtigen, dass der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe meistens nicht realen Sachzwängen entspricht, sondern Bestandteil militärischer Strategie ist.
Das konnte man sehr gut bei der Fußball-Weltmeisterschaft beobachten.
2000 Soldaten haben 112 Unterstützungsanfragen von Ländern und Kommunen erfüllt. Weitere 5000 hielten sich für »Großschadensereignisse« in Bereitschaft. Die Masse der Soldaten kam im Sanitätsbereich zum Zug. Sie haben ein Rettungszentrum errichtet, Krankenträger und Ärzteteams bereitgestellt. Außerdem wurden für fast 6000 Polizisten, die während der WM im Einsatz waren, von der Bundeswehr Schlafplätze und Verpflegung gestellt. Über den Austragungsstädten kreisten AWACS-Flugzeuge der Nato, die auf diese Weise auch noch zum Einsatz kam.
Das Ganze diente vor allem zwei Zwecken:
Zum einen ging es um Imagepflege – wenn die Bundeswehr Feldküchen aufbaut und die Leute versorgt, ist das ein beachtlicher Reklameeffekt.
Zum anderen geht es aber auch darum, für den Ernstfall zu trainieren. Meine Vorrednerin und mein Vorredner heute haben ja sicher schon darauf hingewiesen, wie wichtig die Zivil-Militärische Zusammenarbeit im Auslandseinsatz für die Bundeswehr ist.
Ich will das noch mit einem Ausspruch von Verteidigungsminister Franz Josef Jung erläutern: Der »Schlüssel zum Erfolg« von Militäreinsätzen, erläuterte er im Frühjahr auf einem Sicherheitsworkshop in Berlin, liege »in einer sehr viel engeren Zusammenarbeit« mit zivilen Akteuren »bei Planung, Vorbereitung und Durchführung von Einsätzen.« Internationale Organisationen, staatliche Institutionen genauso wie »kooperationswillige Nichtregierungsorganisationen« sollen an einem Strang mit dem Militär ziehen – »von der gemeinsamen strategischen Planung bis hin zur taktischen Durchführung im Feld.«
Und so etwas muss geübt werden. Als Offizier ist man es ja gewohnt, mit seinesgleichen umzugehen und im Befehlston andere herumzukommandieren, aber die scheinbar gleichberechtigte Zusammenarbeit mit NGOs ist relativ neu für die Bundeswehr.
Die Weltmeisterschaft war also ein großangelegter Feldversuch in Sachen Zivil-Militärische Zusammenarbeit. Die Militärs haben mit städtischen, Landes- und Bundesbehörden kooperiert, ebenso mit dem THW und mit Nichtregierungsorganisationen wie dem Roten Kreuz und dem Fußballbund. Die Bundeswehr war fester Bestandteil des Nationalen Informations- und Kooperationszentrums (NICC), an dem auch die Geheimdienste, das Bundeskriminalamt, das Technische Hilfswerk und das Fifa-Organisationskomitee beteiligt waren. Aus all dem hat die Bundeswehr einen Kompetenz- und Erfahrungsgewinn ziehen können, von dem sie auch bei den Auslandseinsätzen profitieren kann.
Welche militärische Bedeutung die Bundeswehr selbst ihrem WM-Einsatz gegeben hat, das hat der Generalinspekteur General Wolfgang Schneiderhan im Verteidigungsausschuss des Bundestages vorgeführt. Für ihn war die Weltmeisterschaft eine militärische Herausforderung. Im Protokoll des Verteidigungsausschusses heißt es, der General müsse, um „im Fall des Falles reagieren zu können … Truppe in Verfügung halten … Man habe bundesweit überall dort ein Problem, wo Menschen zusammen Fußball anschauen würden. Denn, wo Menschen im Manöver Fußball schauen, da könnte sich im Ernstfall ein Stützpunkt der Taliban befinden.
Weitere Inlandseinsätze des Militärs finden zum Beispiel im Rahmen öffentlicher Militärzeremonien statt. Gelöbnisse und Zapfenstreiche gehören zum festen Ritual der Bundeswehr, und sie veranstaltet diese widerlichen Spektakel immer häufiger in aller Öffentlichkeit. Dazu wird dann einfach ein militärischer Sicherheitsbereich eingerichtet, mit oder ohne Rechtsgrundlage, eine bewaffnete Feldjägerkette davor postiert und der öffentliche Raum kurzerhand beschlagnahmt. Solcherart Einsätze dienen in erster Linie einem Reklameeffekt, die Bundeswehr will damit ihren Anspruch demonstrieren, legitimer Teil dieser Gesellschaft zu sein. Manchmal geht diese Werbemaßnahme allerdings gründlich in die Hose, wenn nämlich gegen die öffentlichen Zeremonien auch öffentliche Proteste stattfinden oder gar phantasievolle Protestaktionen, wie vor einem Jahr in Köln, als eine Gruppe Antimilitaristen während des Zapfenstreichs ein Transparent mit der Aufschrift „Soldaten sind Mörder“ vom Dom aus entrollte.
Ebenfalls zu Reklamezwecken war die Bundeswehr früher auf der Leipziger Buchmesse vertreten, wo sie Schülerinnen und Schüler das Kriegsspiel POLIS spielen ließ. Auch hier haben allerdings breite Proteste stattgefunden und dazu geführt, dass sich die Bundeswehr schließlich von der Buchmesse zurückzog.
Noch ein anderer Aspekt ist wichtig: Die Regelungen, die das Grundgesetz trifft, lassen immer noch einigen Raum zur Interpretation.
Das gilt schon für die Hilfe im Katastrophenfall. Die Unterstützung der Polizei, die nach Artikel 35,3 bei besonders schweren Unglücksfällen möglich ist, berechtigt die Bundeswehr, Zwangsmittel einzusetzen, wobei in erster Linie Objektsicherung und Verkehrsregelung gemeint sind – letztlich alles, was als Unterstützung der Polizei auslegbar ist, d.h. notfalls auch der Einsatz von Waffen. Der Pferdefuß hierbei: es ist nirgends genau festgelegt, was genau eigentlich ein „besonders schwerer Unglücksfall“ sein soll.
Hinzu kommt, dass die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion ausgeführt hat, man müsse gar nicht auf ein „Großschadensereignis“ warten – ein Begriff, der übrigens überhaupt nicht im Grundgesetz steht. Jedenfalls meint die Regierung, es genügten bereits „Vorgänge, die den Eintritt einer Katastrophe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwarten lassen.“, um die Bundeswehr in Marsch zu setzen. (Drs. 16/1416)
Und es gibt – jedenfalls nach Meinung der Bundesregierung – noch ein weiteres Hintertürchen, um Soldaten im Inland einzusetzen: Indem Soldaten zum Dienst in der Bundespolizei abkommandiert werden. Damit würden sie dann dem Innenminister unterstellt. Der Innenminister meint, im Rahmen einer „begrenzten Anzahl“ sei das verfassungskonform – was immer er mit „begrenzt“ meint.
Liebe Freundinnen und Freunde,
ganz offensichtlich will sich die Bundesregierung nicht mit solchen begrenzten Inlandseinsätzen zufrieden geben. Der größte Anschlag, der bisher aus dieser Richtung auf das Grundgesetz verübt wurde, war das Luftsicherheitsgesetz, das noch SPD und Grüne auf den Weg gebracht hatten. Das Gesetz sollte der Bundeswehr das Recht geben, zivile Flugzeuge abzuschießen, „wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll.“ Als Szenario dafür dienten die Anschläge vom 11. September 2001 in New York. Die Frage, woher man so genau wissen sollte, was die Entführer eines Flugzeuges tatsächlich vorhaben, ob sie ein Lösegeld erpressen wollen, politische Forderungen erheben oder ins nächste Hochhaus steuern – diese Frage konnte die Bundesregierung nie beantworten. Das Ganze drohte darauf hinausgelaufen, im Zweifel gegen die Passagiere eines Flugzeuges zu entscheiden. Vor dem Bundesverfassungsgericht hat die Bundesregierung ernsthaft argumentiert, wer heutzutage ein Flugzeug besteige, wisse ja, dass er sich in Lebensgefahr begebe.
Dieses Flugzeugabschussgesetz haben die Karlsruher Richter im Februar zum Glück verworfen. Es könne, so heißt es im Urteil, „nicht angenommen werden, daß derjenige, der als Besatzungsmitglied oder Passagier ein Luftfahrzeug besteigt, mutmaßlich in dessen Abschuß und damit in die eigene Tötung einwilligt«. Und weiter: »Auch die Einschätzung, diejenigen, die sich als Unbeteiligte an Bord eines Luftfahrzeuges aufhalten, seien (im Falle der Entführung) ohnehin dem Tode geweiht«, sei nicht mit der Verfassung vereinbar. Man muss sich das mal auf der Zunge zergehen lassen und sich die Frage stellen, wie weit das Menschenbild der Bundesregierung eigentlich verroht ist, wenn sich das Verfassungsgericht veranlasst sieht, solche Selbstverständlichkeiten aufzuschreiben!
Zwei Gründe haben die Verfassungsrichter angeführt, warum das Gesetz scheitern musste: Zum einen sei die Menschenwürde verletzt, wenn zivile Passagiere im Zweifel einfach abgeschossen werden. Zum anderen habe die Bundeswehr in Friedenszeiten nicht das Recht, schwere Waffen wie Kampfflugzeuge einzusetzen. Die bei so genannten Großschadensereignissen mögliche „Unterstützung“ der Polizei müsse sich auf die Mittel beschränken, die auch die Polizei hat, und dazu gehören keine Tornados.
Wer nun gehofft hatte, dieses Urteil würde die Debatte um den Inlandseinsatz beenden, der kennt unsere Bundesregierung schlecht. Es vergeht seither keine Woche, in der Innenminister Wolfgang Schäuble oder Verteidigungsminister Franz Josef Jung nicht fordern, die Verfassung zu ändern. Die abenteuerlichsten Vorschläge wurden erwogen. So ist diskutiert worden, solche Flugzeugattacken als „feindliche Angriffe“ zu werten und den Verteidigungsfall auszurufen. Denn, so hat Schäuble erklärt: „Im Verteidigungsfall gilt jedenfalls nicht, was das Verfassungsgericht entschieden hat: Dass man wenig Leben gegen viel Leben nicht abwägen darf.“ Kriegsrecht kennt keine Menschenwürde, so die Argumentation. Solche, zutiefst menschenfeindlichen Vorschläge sind mittlerweile wieder in der Schublade, und da können sie jederzeit rausgeholt werden.
Die SPD mimt in dieser Debatte die vorsichtige und zurückhaltende Partei, aber ihre Zurückhaltung erschöpft sich darin, die allerwildesten Pläne der Union zurückzuweisen. Aber auch die Sozialdemokraten wollen das Luftsicherheitsgesetz irgendwie doch noch einführen und gleich noch ein Seesicherheitsgesetz dazugeben.
Die Kompromisslinie der Bundesregierung ist nun im Weißbuch der Bundeswehr festgeschrieben, das ja vor wenigen Wochen vorgelegt wurde. Die Bundesregierung sehe, so heißt es, „die Notwendigkeit der Erweiterung des verfassungsrechtlichen Rahmens für den Einsatz der Streitkräfte.“ Genauer kann oder will es die Bundesregierung nicht formulieren, es bleibt also alles offen. Das Minimalprogramm besteht darin, das Luftsicherheitsgesetz verfassungskonform zu machen, und wie das gehen soll, darauf dürfen wir noch gespannt sein. Die einzig denkbare Variante wäre der Abschuss eines unbemannten oder ausschließlich mit Terroristen besetzten Flugzeuges. Aber wie soll es darüber jemals Sicherheit geben? Der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Bernhard Gertz, hat hierzu sehr richtig erklärt: „Würde ein Abschussbefehl in einer solchen Situation erteilt, dürften die Piloten ihn nicht ausführen, weil Zweifel eben nicht ausgeschlossen werden können.“ (Stuttgarter Zeitung, 20. 2. 06)
Liebe Freundinnen und Freunde,
Ich will noch einen zentralen Satz aus dem Weißbuch zitieren: „Angesichts von Gefahren wie der Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen und den internationalen Terrorismus haben die Überschneidungen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zugenommen. Streitkräfte müssen darauf eingestellt sein, auch im Inland ihre Fähigkeiten unterstützend für die Sicherheit und den Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung zu stellen.“
Das betrifft, wie eben gesagt, zunächst ein neues Luftsicherheitsgesetz. Jung und vor allem Schäuble bleiben aber bei ihren weitergehenden Forderungen und wollen weiterhin, dass die Bundeswehr auch zum Objektschutz und zur Personenkontrolle usw. im Inneren eingesetzt werden darf.
Bezeichnenderweise halten diejenigen, die von solchen Plänen zunächst betroffen wären, sprich Soldaten und Polizisten, überhaupt nichts davon. Unisono erklären sowohl der Präsident des Bundeswehrverbandes als auch der Chef der Gewerkschaft der Polizei, Konrad Freiberg, dass Soldaten schlicht und einfach nicht die fachlichen Kompetenzen haben, um Polizeiaufgaben durchzuführen. Die Linksfraktion hat zu diesem Thema ja schon im Mai eine Anhörung in Berlin durchgeführt, und dort hat ein Polizeivertreter Klartext geredet und Schäuble vorgeworfen, er habe keine Ahnung, was Objektschutz eigentlich bedeute. Aus der Tatsache, dass die Bundeswehr im Kosovo wie eine Art Polizei agiert, kann man nicht schließen, dass sie das dann auch im Inland könnte; dafür ist die Situation viel zu unterschiedlich; weil die Bundeswehr im Kosovo mehr oder weniger nach Kriegsrecht handelt, und wir in der BRD 16 verschiedene Landespolizeigesetze haben.
Dennoch ist diese Entwicklung, dieser zunehmende Ruf danach, auf unseren Straßen Militärpatrouillen marschieren zu lassen, in gewisser Hinsicht konsequent. Darin spiegelt sich das Motto dieser Konferenz: Wie der Krieg in die Welt kommt, so kommt er nach Hause. Wer der Meinung ist, am Hindukusch werde Deutschland verteidigt, der hat den Verteidigungsbegriff völlig entgrenzt. Wer keine geographische Begrenzung und keine Landesgrenzen für den Einsatz seiner Armee akzeptieren will, warum sollte der ausgerechnet vor der eigenen Landesgrenze Halt machen? Solch eine Haltung läuft zwangsläufig darauf hinaus, in Tübingen und Berlin mit den gleichen Methoden zu experimentieren wie in Kabul oder Pristina.
Wir sehen daran, dass der so genannte Krieg gegen den Terror die allgemeine Kulisse für all diese Entwicklungen gibt.
Ich will an dieser Stelle den Rahmen, der mir hier vorgegeben wurde, etwas erweitern.
Im Namen des Antiterrorkampfes wird ja nicht nur die Trennung zwischen innerer und äußerer Sicherheit aufgehoben. Es wird nicht nur die Trennung zwischen Bundeswehr und Polizei in Frage gestellt, sondern auch noch eine weitere Trennung, die ebenfalls aus gutem Grund Verfassungsrang hat: Die Trennung zwischen Polizei und Geheimdiensten. Auch das gehört zum allgemeinen Kontext des „Krieges gegen den Terror“.
Die Geheime Staatspolizei des Dritten Reiches war eine Behörde, die sowohl Geheimdienst als auch Polizei war. Sie hat durch geheimdienstliche Ermittlungen und durch die Anwendung von Zwangsmitteln – sprich: willkürliche Festnahmen und Folter – unzählige Verbrechen begangen. Damit sich so etwas nicht wiederholt, sieht das Grundgesetz zum einen den föderalen Aufbau der Polizei vor und zum anderen strikte Trennung der Kompetenzen.
So darf die Polizei nur gegen Verdächtige ermitteln, und sie muss im Prinzip über jeden Ermittlungsschritt Rechenschaft ablegen. Will sie eine Wohnung durchsuchen oder eine Festnahme vornehmen, muss sie eine richterliche Genehmigung einholen.
Die Geheimdienste dagegen können ohne jeden Anfangsverdacht ermitteln, sie können explizit Unverdächtige beobachten, sie sind, wie wir alle wissen, nicht kontrollierbar, noch nicht einmal durch das Parlament – aber sie dürfen niemanden festnehmen und auch sonst keine Zwangsmittel einsetzen.
Von einer strikten Trennung beider Behördentypen können wir schon lange nicht mehr reden, aber in den vergangenen Monaten wird diese Trennung fast ganz aufgehoben. Im Gemeinsamen Terrorabwehr-Zentrum in Berlin sitzen seit zwei Jahren sämtliche Landeskriminalämter, alle drei Geheimdienste und eine Reihe weiterer Behörden Tag für Tag zusammen, um ihre Informationen zu „bündeln“, wie es heißt. Als nächstes kommt das Projekt der so genannten Anti-Terror-Datei, das vorsieht, die Datenbestände von drei Dutzend Sicherheitsbehörden zusammenzulegen. Die Datensammelwut kennt keine Grenzen mehr. Der Gesetzentwurf sieht vor, nicht nur Terrorverdächtige zu erfassen, sondern auch so genannte Kontaktpersonen, und das können alle möglichen Leute sein, die Familie genauso wie der Vermieter oder der Autoverkäufer, es gibt da überhaupt keine Trennlinie mehr. Jeder ist verdächtig.
Es ist klar, worauf das hinausläuft: Die Handlungskompetenzen von Polizei und Geheimdiensten bleiben getrennt, aber wenn der Informationsfluss keine Grenzen mehr kennt, dann wird das Trennungsgebot elegant umgangen, auf dem Umweg über den Informationsaustausch.
Was die Bundesregierung mit ihren Vorstößen gegen das Grundgesetz erreichen will, ist, die Bundeswehr von allen Begrenzungen zu lösen. Die ganze Welt soll Kampfgebiet sein, auch das Inland. Dazu scheint es im Moment keine Notwendigkeit zu geben, weil in unserem Land nicht die Spur einer ernsthaften, gar bewaffneten Opposition vorzufinden ist. Aber gab es denn einen „richtigen“ Grund für die Einführung der Notstandsgesetze in den 1960er Jahren? Die Regierenden zögern nicht, die Basis ihrer Herrschaft zu verbreitern, wenn sie die Gelegenheit dazu sehen.
Die Militarisierung der Außenpolitik, die wir seit 1990 erleben, wird ergänzt durch die Militarisierung der Innenpolitik. Ich will hier nicht dramatisieren, aber wenn ich das mal sehr zugespitzt sage: Wenn jegliche Machtbegrenzung für staatliche Institutionen wegfällt, wenn Polizeien und Geheimdienste befugt werden, ihre Daten auszutauschen, wenn im Prinzip jede staatliche Institution verpflichtet wird, am Krieg gegen den Terror teilzunehmen, wenn jede Bürgerin und jeder Bürger, die sich diesem Krieg verweigert, unter Verdacht gerät, dann haben wir das Konzept des Totalen Krieges.
Es wird Zeit, dass wir den Widerstand dagegen aufnehmen.