Im vergangenen Frühjahr und Sommer waren rund 6000 Menschen aus Afrika bei dem Versuch umgekommen, mit Booten nach Europa zu gelangen. »Das Treffen der Innen- und Justizminister der EU in Dresden muß ein starkes Signal aussenden für eine gemeinsame europäische Migrationspolitik, die auf dem ausnahmslosen Respekt der Menschenrechte und Grundfreiheiten von Migranten gegründet ist«, forderte daher der Asylexperte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, Wolfgang Grenz.
Statt dessen aber will die EU-Innenministerkonferenz die Abwehrmaßnahmen noch verschärfen. Mit seinen Angstszenarien erfüllte Frattini exakt die Erwartungen des Konferenzvorsitzenden, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der die »Bekämpfung illegaler Einwanderung« zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit während der halbjährigen deutschen EU-Präsidentschaft erklärt hatte. Folglich rief Schäuble auf der ersten von ihm geleiteten EU-Konferenz in Dresden sofort zur Stärkung der europäischen Grenzschutzagentur Frontex auf. Zwar bleibe die Kontrolle der EU-Außengrenzen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten, doch müsse »das Prinzip der Solidarität« gelten, rechtfertigte er Eingriffe in die nationale Souveränität.
Die von Schäuble und dem konservativen französischen Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy initiierte Regelung, kooperationswilligen Drittstaaten Kontingente für Arbeitserlaubnisse in der EU zuzubilligen, ist allerdings nur eine Neuauflage der gescheiterten »Gastarbeiterpolitik« der 1950er und 60er Jahre, billige Arbeitskräfte für eine begrenzte Zeit ins Land zu lassen.
Weiterhin steht in Dresden die europaweite Verbesserung polizeilicher Zusammenarbeit auf dem Programm. Zur »Bekämpfung von Terrorismus und grenzüberschreitender Kriminalität« solle die europäische Polizeibehörde Europol gestärkt und der direkte Zugriff auf DNA- und Fingerabdruckdateien auf alle EU-Staaten ausgeweitet werden, forderte Schäuble. Dies sei »eine neue Qualität der Zusammenarbeit«. Hierzu will Schäuble den bislang nur von elf Staaten unterzeichneten Prümer Vertrag zum Datentransfer in das EU-Recht aufnehmen.
Sollte das gelingen, ist allen 27 Mitgliedstaaten der umfassende Datentransfer erlaubt. Damit können DNA-Profile, Fingerabdrücke und Fahrzeugregisterdaten bereits bei einem Verdacht automatisch abgeglichen werden. Auch bei Großereignissen wie EU- und G-8-Gipfeln sollen Daten ausgetauscht werden können. Dies bedarf auch keiner Genehmigung durch einen Richter – die Polizei kann jeweils selbst entscheiden, wessen Daten angefordert, weitergegeben oder bearbeitet werden. »Das läuft auf willkürliche Verletzungen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung hinaus«, kritisierte die Linksfraktion im Bundestag in einer Presseerklärung.
Zuerst erschienen in: junge Welt vom 16.01.2007