Liebe Freundinnen und Freunde,
Vor zwei Tagen hat die Bundesregierung beschlossen, Tornado-Flugzeuge nach Afghanistan zu schicken. Damit greift Deutschland noch viel stärker als bisher in diesen Krieg ein. Die Aufklärungsflugzeuge sollen dazu beitragen, den anderen Nato-Verbänden Ziele zuzuweisen, die sie dann bombardieren können. Der schmutzige, völkerrechtswidrige Krieg wird mit deutscher Hilfe noch schmutziger als bisher. Das ist der falsche Weg. Wir fordern: Deutsche Soldaten haben im Ausland nichts zu suchen und müssen zurückgezogen werden!
Die Bundesregierung denkt allerdings nicht daran, die Militarisierung der Außenpolitik zu beenden. Stattdessen erschallte in dieser Woche lautstark der Ruf, ein Mahnmal für die gefallenen Bundeswehrsoldaten aufzustellen. In der Bild-Zeitung beschworen drei ehemalige Verteidigungsminister die Bundesregierung, ich zitiere das jetzt:
„Geben Sie den im Einsatz Gefallenen der Bundeswehr ein Ehrengrab! Geben Sie den Männern und Frauen, die für die Werte unserer Verfassung ihr Leben ließen, eine Gedenkstätte!“
Verteidigungsminister Jung hat angekündigt, noch in diesem Jahr ein solches Mahnmal aufzustellen.
Liebe Freundinnen und Freunde,
eines muss hier ganz klargestellt werden: Die 65 deutschen Soldaten, die bisher im Ausland ums Leben kamen, sind nicht „für die Werte unserer Verfassung“ gestorben, im Gegenteil! Wer das behauptet, kennt offenbar die Verfassung nicht, denn da steht immer noch drin:
Die Bundeswehr ist eine Verteidigungsarmee!
Angriffskriege sind verboten!
Die BRD muss sich ans Völkerrecht halten!
All diese Grundsätze werden von der Bundesregierung mit Füßen getreten. In ihrem Drang nach Weltgeltung und Profit schickt sie Soldaten in alle Welt und verheizt sie dort. Mit unserer Verfassung hat das nichts, aber auch gar nichts zu tun!
Und noch etwas will ich festhalten: Jeder Tod ist tragisch und verdient Mitgefühl. Aber haben diejenigen, die ein Heldengedenken wollen, sich jemals gefragt, wie viele Menschen in all den Kriegen, bei denen die Bundeswehr mitgemacht hat, umgebracht wurden? Die Bewohner von Belgrad, die 1999 von der Nato bombardiert wurden, haben kein Mahnmal. Erst im vergangenen Jahr wurde eine Klage von Überlebenden des Nato-Angriffs auf die serbische Stadt Varvarin abgewiesen. Nato-Flugzeuge hatten damals auf einen Markt geschossen und 18 Menschen umgebracht. Eine Entschädigung steht den Verletzten und Angehörigen aber nicht zu, so die deutsche Rechtsauffassung. Sie galten sowieso im zynischen Nato-Sprachgebrauch nur als „Kollateralschäden.“
Und was die Toten in Afghanistan angeht, so tauchen die überhaupt nur dann in der hiesigen Presse auf, wenn die Opferzahlen mindestens zweistellig sind, wenn also wieder einmal eine Hochzeitsgesellschaft bombardiert wird.
Deswegen sagen wir: Wir wollen nicht toter Helden gedenken, sondern wir wollen, dass die Bundeswehr nicht bei Angriffskriegen mitmacht und Menschen tötet!
Liebe Freundinnen und Freunde,
wenn es nach der Bundesregierung geht, dann sollen in Zukunft aber noch mehr Soldaten auf der ganzen Welt für die angeblichen deutschen Interessen kämpfen. So steht es im Weißbuch der Bundeswehr: 14.000 Soldaten sind für mindestens fünf Kriegsschauplätzen gleichzeitig vorgesehen. 18.000 Bundeswehrsoldaten werden Bestandteil einer gemeinsamen Armee der Europäischen Union. Die Bundeswehr beteiligt sich an den Eingreiftruppen der EU, den sogenannten battle groups, und an einer Schnellen Eingreiftruppe der Nato.
Die Standardbegründung für all das lautet mittlerweile: Terrorbekämpfung. Der sogenannte „Krieg gegen den Terror“ soll weltweit geführt werden, und ein Ende ist nicht absehbar.
Wir können jeden Tag feststellen, dass diese Begründung erlogen und falsch ist. Die Kriegseinsätze der Nato-Staaten dämmen die Gewalt nicht ein, sondern vermehren sie. Die Diktatur von Saddam Hussein ist zwar gestürzt, aber dafür ist im Irak ein Terror in bislang unbekanntem Ausmaß entstanden. Ein Terror, der vor allem von den Besatzungstruppen selbst ausgeübt wird.
Das Gleiche gilt für Afghanistan: Der Terror der Taliban ist durch den Terror der Nato nicht beseitigt, sondern ergänzt worden. Denn wie soll man es sonst nennen, wenn Nato-Flugzeuge Wohnhäuser bombardieren und immer wieder, Tag für Tag, Unschuldige angreifen?
Wir haben es schon immer gesagt: Krieg selbst ist Terror! Und Terror durch Terror bekämpfen zu wollen, ist zum Scheitern verurteilt.
Freundinnen und Freunde,
Den Rechtsbruch, der von der Bundeswehr in alle Welt getragen wird, bekommen wir zunehmend selbst zu spüren.
Innenminister Schäuble fordert regelmäßig, die Bundeswehr im Inland einzusetzen. Bislang hatte er keinen Erfolg damit. Aber der so genannte Krieg gegen den Terror hat auch im Inneren schon längst begonnen,.
Ich rede nicht von Bomben und Attentaten – davon sind wir noch größtenteils verschont. Noch, sage ich. Ich halte nichts von Schwarzmalerei und Terrorhysterie, aber es liegt auf der Hand, dass ein Staat, der im Ausland Mord und Totschlag begeht – und nichts anderes ist Krieg – dass also ein solcher Staat auch mit Gegenschlägen rechnen muss. Auch das ist ein Grund für uns, zu fordern, dass die Bundeswehr von allen Kriegsschauplätzen abziehen soll. Sie hilft niemandem, sie befreit niemanden, sie bringt nur alle in Gefahr. Erst vor wenigen Tagen haben mehrere Hilfsorganisationen wieder darauf hingewiesen, dass die Verschärfung des Nato-Krieges in Afghanistan die Hilfe weiter erschweren wird und die Helfer weiter gefährdet. Daran sieht man, dass es der Bundeswehr eben nicht darum geht, das Schicksal der einfachen Bevölkerung zu erleichtern.
Der Krieg in Afghanistan ist, wie jeder Krieg, ein Krieg gegen die Mehrheit der Bevölkerung
Die Kriegspolitik der Bundesregierung ist zugleich eine Kampfansage an die Grundrechte.
Wir machen uns keine Illusionen darüber, wozu imperialistische Staaten fähig sind. Aber es hat uns wahrscheinlich alle erschreckt, was Murat Kurnaz über die Jahre seiner Gefangenschaft berichtet hat. Sowohl die US-amerikanischen als auch die deutschen Geheimdienste waren schon bald nach seiner Festnahme davon überzeugt: Kurnaz ist kein Terrorist, er ist noch nicht einmal ein Terrorsympathisant, sondern ein jugendlicher, unschuldiger Mann, der zur falschen Zeit am falschen Ort war. Gegen ein Kopfgeld wurde er von afghanischen Söldnern an die USA ausgeliefert, von diesen in das Schandgefängnis Guantanamo verschleppt und auf abscheuliche Weise gefoltert und misshandelt. Wer zugehört hat, was Kurnaz vorige Woche im Untersuchungsausschuss erzählt hat, den hat wirklich das Grauen gepackt. Selbst CDU-Politiker haben, für ihre Verhältnisse, scharfe Kritik an den Foltermethoden der US-Verhörer geübt.
Der größte Skandal ist, dass die damalige SPD-Grünen-Regierung nichts unternommen hat, um Kurnaz freizubekommen, im Gegenteil. Sie hat alle möglichen Tricks und Finten ausprobiert, um Kurnaz’ Freilassung zu verhindern, obwohl seine Unschuld allgemein anerkannt war. Außenminister Steinmeier hat sein menschenfeindliches Verhalten erst vor wenigen Tagen verteidigt: Kurnaz sei schließlich ein so genannter „Gefährder“ gewesen, und deswegen würde er, Steinmeier, wieder genauso handeln.
Das, liebe Freundinnen und Freunde,
ist schlicht weg ein Skandal: Der Außenminister würde wieder genauso handeln, er würde wieder dafür sorgen, dass jemand vier Jahre lang unschuldig im Folterlager einsitzt, wenn es sich um einen sogenannten „Gefährder“ handelt. So eine Haltung zeigt schlaglichtartig, dass das Menschenrechtsverständnis der Bundesregierung absolut pervertiert ist. Es fehlen einem fast die Worte für dieses Ausmaß an Menschenverachtung, für diese staatliche Bereitschaft zur Grausamkeit gegenüber Unschuldigen.
Denn was ist ein so genannter Gefährder? Die offizielle Definition spricht von einer Person, bei der „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass sie „Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird.“
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: eine Person, von der angenommen wird, dass sie Straftaten begehen wird. Wie diese Annahme zustande kommt, ist ganz egal und wird nirgends beschrieben. Verfügen die Strafverfolgungsbehörden plötzlich über hellseherische Fähigkeiten, so dass sie in die Zukunft sehen können? Natürlich nicht. Die Bestimmungen über „Gefährder“ sind reine Willkür. Sie betreffen Menschen, die, so wie Kurnaz, unschuldig sind, noch nie etwas verbrochen haben.
Dabei ist Murat Kurnaz nur die Spitze eines Eisbergs. Dass Menschen ohne Nachweis irgendeiner Schuld so behandelt werden wie bereits verurteilte Straftäter, ist schon längst Alltag. Wer das Missfallen der Behörden erweckt, und zwar ganz egal aus welchem Grund, muss als Nichtdeutscher seine Abschiebung befürchten, ganz egal, wie lange er schon in Deutschland lebt oder ob er sogar hier geboren wurde, und ganz egal, ob ihm Folter droht oder nicht.
Auf bloßen, vagen Verdacht hin werden unschuldigen Menschen die Grundrechte abgesprochen. Es reicht eine ungedeckte Beschuldigung, eine schlichte Denunziation. Im Zweifel gegen die Grundrechte zu entscheiden – solch eine Haltung führt zwangsläufig in eine Guantanamo-Logik. Dass sich die Bundesregierung nicht selbst an Kidnapping und Folter beteiligt, sondern „nur“ Beamte nach Guantanamo und in andere Folterknäste schickt, macht dies nicht besser.
Dass die Bundesregierung beide Augen zugedrückt hat, als die CIA illegal Gefangene kreuz und quer durch Europa in die Geheimknäste geflogen hat, das zeigt: Diejenigen, die unsere Freiheit und unsere Grundrechte bedrohten, sind in erster Linie die staatlichen Behörden selbst.
Der Abbau von Grundrechten zeigt sich in einer Vielzahl von Maßnahmen. Ich will nur daran erinnern, dass die Geheimdienste seit 2001 immer mehr abhören und mitschneiden dürfen. Die Terrorpakete von Otto Schily wurden im vergangenen Jahr verlängert und verschärft. In Reisepässen werden biometrische Daten erfasst, in Zukunft auch Fingerabdrücke. Die Visabestimmungen für Besucherinnen und Besucher aus dem Ausland werden immer rigider,
Besonders betroffen von der Sicherheits- und Terrorhysterie sind Bürgerinnen und Bürger ausländischer Herkunft. Sie werden zum Hauptfeind erklärt und unter Generalverdacht gestellt. Immer wieder werden vor allem Moslems von Regierungspolitikern aufgefordert, sich zum Grundgesetz zu bekennen, und damit wird unterstellt, Moslems seien weniger demokratisch bzw. eher gewaltgeneigt als Deutsche. Wie absurd das ist, zeigen uns die Zahlen über neofaschistische Gewalt, die Monat für Monat ansteigen, ohne dass sich die Regierung deshalb größere Sorgen macht.
Wir konnten im letzten Jahr beobachten, wie schwer sich die Regierung getan hat, die Programme gegen neofaschistische Gewalt weiter zu finanzieren.
Wenn es dagegen darum geht, Gewalt gegen Ausländer zu praktizieren, lässt sich die Regierung nicht zweimal bitten.
Im Rahmen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex macht Deutschland aktiv dabei mit. Die Flüchtlinge, die aus ihrer Not fliehen wollen, müssen zwangsläufig immer weitere Umwege und größere Gefahren auf sich nehmen. Das hat weitere Tote zur Folge. Auch das ist eine Form von Krieg und Gewalt, die von den kapitalistischen Staaten ausgeht.
Unser Kampf gegen die menschenverachtenden Kriegseinsätze und gegen den weiteren Abbau der Grundrechte darf nicht ruhen. Eure regelmäßigen Kundgebungen für Frieden und Demokratie sind ein wichtiger Beitrag für eine andere Gesellschaft. Ich wünsche euch weiterhin viel Erfolg!