Die Geschichte der Migrationspolitik der BRD ist eine lange Reihe von Maßnahmen zur Ausgrenzung von Menschen. Dies begann schon mit der Anwerbung von »Gastarbeitern« in den 50er und 60er Jahren, die nur für die kurze Zeit ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit hier willkommen waren und dann gefälligst wieder gehen sollten. Unter dem vernebelnden Stichwort von der »zirkulären Migration« ist Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) dabei, dieses verstaubte Konzept EU-weit salonfähig zu machen.
Als neuestes Beispiel einer untragbaren Diskriminierung gilt bei türkischen Politikern zu Recht der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Verschärfung des Zuwanderungsrechts. Demnach soll nicht nur das Mindestalter für die Übersiedlung von Ehegatten auf 18 Jahre angehoben, sondern der Nachzug nur noch dann gestattet werden, wenn der Ehepartner im Herkunftsland bereits Deutschkennisse erworben hat. Türkische Politiker stellen zu Recht die Frage, ob dies auch dann gelten soll, wenn ein Deutscher eine Amerikanerin heiratet. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung gibt darauf eine klare Antwort: Nein, von der Verschärfung sind Länder wie etwa die USA, Kanada oder Japan bewußt ausgenommen worden.
Bei vielen Mädchen in den weniger entwickelten Teilen des Landes nimmt der Staat die Schulpflicht nicht so genau. In patriarchalisch strukturierten Familien wird vielen Mädchen von Vätern, Brüdern und Onkeln der Unterricht verboten. Die durchschnittliche Dauer der Schulzeit in der Türkei beträgt daher für Mädchen nur dreieinhalb Jahre. Da die Bundesregierung eine Zuwanderungspolitik nach dem »Nützlichkeitsprinzip« betreibt, sollen diese unverschuldet bildungsfernen Schichten aus der BRD ausgegrenzt werden.
Natürlich wissen die Regierungspolitiker genau, daß auch nach einer gesetzlichen Neuregelung keine Deutschkurse in den ländlichen Gebieten der Türkei angeboten werden können. Der Gesetzentwurf hat nicht den Zweck, die Betroffenen besser auf ihren Aufenthalt in Deutschland vorzubereiten, sondern er ist schlicht ein Mittel der Abwehr unerwünschter Zuwanderer.
Der türkische Erziehungsminister Hyeseyin Celik kritisierte gegenüber einer Delegation von Bundestagsabgeordneten in Ankara, daß die Verhinderung des Familiennachzugs ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte sei. Künftig werde man Türkischkenntnisse vor der Übersiedlung Deutscher in die Türkei verlangen, drohte er.
Sollte die Bundesregierung von ihrem grundgesetzwidrigen Vorhaben nicht abgehen, wird sie erheblichen außenpolitischen Schaden anrichten, ähnlich wie bei dem im Jahr 2000 von der SPD-Grünen-Bundesregierung eingeführten Staatsangehörigkeitsrecht. Damals wurde am grundsätzlichen Verbot der doppelten Staatsangehörigkeit festgehalten, weil sich SPD und Grüne nach der unsäglichen Kampagne von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) gegen den »Doppelpaß« nicht mehr an eine fortschrittliche Neuregelung herantrauten. Damit wurde Hunderttausenden Türken, die seit vielen Jahren in der BRD leben, die Chance verweigert, den deutschen Paß zu erhalten, ohne die türkische Staatsangehörigkeit aufgeben zu müssen. Seither registrierten Türken aufmerksam, daß auf dem Umweg über Ausnahmebestimmungen für Angehörige anderer Staaten, etwa des Iran, durchaus der Doppelpaß in der BRD akzeptiert wurde. Somit hat eine von SPD und Grünen als »erfolgreiches Reformprojekt« gefeierte Neuregelung zu Diskriminierungen geführt, die noch heute von der Türkei als tiefe Kränkung empfunden werden.
Die große Koalition ist dabei, denselben Fehler zu wiederholen. Sie glaubt, mit einer Abschottungspolitik gegen die hauptsächlich von der Verschärfung des Ehegattennachzugs betroffenen jungen kurdischen Frauen fremdenfeindliche Ressentiments konservativer Wähler zu befriedigen. Damit und mit den Stichworten Scharia, Zwangsverheiratungen und »Ehrenmorde« läßt sich bis in »gutbürgerliche« Kreise erfolgreich Wahlkampf führen –auf dem Rücken von Migranten.
Zuerst erschienen in: junge Welt vom 18. April 2007