Schon in den vergangenen Monaten hatte Schäuble durch seine Forderung nach Bundeswehreinsätzen im Inneren, nach heimlichen Online-Durchsuchungen von Privatcomputern und nach teilweiser Abschaffung der Unschuldsvermutung bewiesen, daß er den innenpolitischen Amoklauf seines Amtsvorgängers Otto Schily (SPD) fortsetzen will. In einem Spiegel-Interview jedoch überschritt Schäuble am Wochenende alle Grenzen: Der »Verfassungsminister« brachte den Gedanken der gezielten Tötung von »Terroristen« in die Debatte, forderte eine Vorbeugehaft für »Gefährder«, die Einführung eines neuen Straftatbestands der »Verschwörung« nach US-Vorbild sowie ein Handyverbot für Verdächtige.
Innenpolitiker der Bundestagsfraktion Die Linke verlangten daraufhin, »daß die SPD sich aus der Deckung wagt und Schäubles Ablösung fordert«. Es genüge nicht mehr, zweimal in der Woche seinen aktuellen Wahnideen zu widersprechen. Mit seinen »permanenten Kamikaze-Angriffen« auf die Grund- und Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger sei Schäuble als Innen- und Verfassungsminister nicht mehr tragbar. Das Bundeskriminalamt solle den Innenminister genauer unter die Lupe nehmen, da sich dieser derzeit als der größte Gefährder des Rechtsstaats« erweise.
Die SPD sah sich am Monag zu einer Distanzierung von Schäuble gezwungen, ohne jedoch konkrete Konsequenzen zu ziehen. Eine »Militarisierung der Innenpolitik« werde es mit der SPD nicht geben, behauptete Generalsekretär Hubertus Heil. Er vergaß aber zu erwähnen, daß der Abbau von Bürgerrechten schon massiv unter der SPD-Grünen-Bundesregierung begonnen hatte. Für die Grünen, nunmehr Oppositionspartei, äußerte Vorsitzende Claudia Roth, Schäuble werde immer mehr zu einem Sicherheitsrisiko.
»Überrascht bis entsetzt« zeigte sich FDP-Chef Guido Westerwelle. Erschießung auf Verdacht sei kein Mittel des Rechtsstaates. Er forderte Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, sich von derartigen Plänen Schäubles eindeutig zu distanzieren. Die aber ließ lediglich durch ihren Regierungssprecher Thomas Steg wissen, es gebe keine Denkverbote.
Dagegen distanzierte sich CSU-Hardliner Beckstein ziemlich deutlich von Schäuble. Der designierte Ministerpräsident Bayerns unterstützte den Bundesinnenminister nur verbal mit dem Allgemeinplatz, Schäuble sei ein »Verfechter des Rechtsstaats«. Zugleich warnte er davor, wegen der Bedrohung durch Terroristen »in Hysterie zu verfallen«. Auch die Forderung nach gezielten Tötungen machte sich Beckstein nicht zu eigen.
Sogar aus Polizeikreisen kam deutliche Kritik. Als »unverantwortlich für einen Verfassungsminister« bezeichnete die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Schäubles Pläne. Einen Staat, wie Schäuble ihn an die Wand male, wolle wohl niemand in Deutschland, auch die Polizei nicht. Die Terrorgefahr dürfe nicht parteipolitisch instrumentalisiert werden.
Heribert Prantl brachte es in seinem Kommentar »Der Angstmach-Minister« in der Montagausgabe der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt: Wenn Schäuble »die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus« beanspruche, »meint er damit offenbar die Freiheit vom Recht, weil er das Recht als Hindernis versteht«.
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