Die Kommission wirft den 16 deutschen Bundesländern nach Moscas Angaben vor, sie gewährleisteten nicht die vom EU-Recht geforderte völlige Unabhängigkeit der Datenschützer bei der Aufsicht über die Privatwirtschaft. Weil die Bundesregierung auf ein vorheriges Vertragsverletzungsverfahren nicht reagiert habe, werde jetzt der EUGH eingeschaltet. Der könne die Bundesländer verpflichten, ihre Datenschutzgesetze zu ändern, könne aber auch empfindliche Geldstrafen verhängen.
In allen Bundesländern gibt es eine staatliche Aufsicht über jene Stellen, die für den Datenschutz privater Einrichtungen wie etwa Unternehmen und Verbände zuständig sind. Dies widerspricht nach Meinung der EU-Kommission jedoch der EU-Datenschutzrichtlinie von 1995, wonach die Datenschützer ihre Aufgaben »in völliger Unabhängigkeit« wahrnehmen müssen. In neun Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) werde die Datenschutzaufsicht durch Behörden der allgemeinen Verwaltung wahrgenommen. Damit sei die nötige Unabhängigkeit nicht gegeben.
Besonders gravierende Probleme sieht die EU-Kommission dort, wo der Datenschutz direkt in die Organisation der Innenministerien eingebunden ist, wie im Saarland, Baden-Württemberg und Brandenburg. Die Kommission fürchtet, daß die jeweilige Ministeriumsspitze in unzulässiger Weise Einfluß auf die Arbeit der Datenschützer nimmt. Unter solchen Umständen könne man erst recht nicht von einer unabhängigen Kontrolle des Datenschutzes in Unternehmen sprechen.
In der Saarbrücker Zeitung vom Mittwoch hatte der für den öffentlichen Bereich zuständige saarländische Datenschutzbeauftragte Roland Lorenz erklärt, er halte die Klage für berechtigt. Lorenz forderte seine Landesregierung auf, ihm auch die Zuständigkeit für den Datenschutz in der Privatwirtschaft zu übertragen. In der Privatwirtschaft würden die Datenschutz-Probleme immer größer würden. Lorenz kritisierte insbesondere den Umgang vieler Firmen mit Kundendaten.
Die EU ist allerdings selbst kein Musterknabe beim Datenschutz. Erst vor wenigen Wochen hat sie einem Abkommen mit den USA zugestimmt, wonach den US-Behörden umfassend Passagierdaten übermittelt werden. Der Berliner Datenschutzbeauftragte Alexander Dix hält dieses Abkommen für unzulässig und unnütz. In der Tageszeitung vom Mittwoch erklärte er: »Ich rate jedem: Wer nicht unbedingt in die USA fliegen muß, sollte es lassen.« Nach diesem Abkommen seien die EU-Kommission und das US-Heimatschutzministerium für den Datenschutz verantwortlich. Dix: »Es gibt keine unabhängige Kontrolle mehr.« So berechtigt es also ist, daß die EU den ungenügenden Datenschutz in der BRD kritisiert, so mangelhaft ist die Wahrung der Persönlichkeitsrechte durch die EU selbst.
Zuerst erschienen in: junge Welt vom 03.08.2007