Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) lehnt es ab, die von ihm erteilten Ermächtigungen zur Strafverfolgung von Journalisten wegen angeblichen Geheimnisverrats zurückzunehmen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Mittwochausgabe) verwies er darauf, er sei vom Vorsitzenden des BND-Untersuchungsausschusses, Siegfried Kauder (CDU), gebeten worden, tätig zu werden, da in der Presse aus als geheim eingestuften Akten zitiert worden sei. Dies habe er getan. Es sei Sache der Staatsanwälte, »ob und gegen wen sie Ermittlungen einleiten oder nicht«. Der Vorwurf, er wolle die Pressefreiheit einschränken, werde »selbst von ausgewiesenen Journalisten als Wichtigtuerei zurückgewiesen«, betonte Lammert in der Saarbrücker Zeitung.
Dabei ließ der Bundestagspräsident einen entscheidenden Punkt außer acht: Er hat die Befugnis, jederzeit die von ihm erteilte Ermächtigung ohne Angabe von Gründen zurückzunehmen. Die Fraktion Die Linke bezeichnete die Ermittlungen als »Generalangriff auf die Pressefreiheit«. Auch andere Parteien, Journalistenverbände und Chefredakteure empörten sich in den vergangenen Tagen darüber, daß nicht gegen »Amtsträger«, sondern gegen 17 Journalisten wegen »Beihilfe« ermittelt wird. Damit solle eine kritische Berichterstattung über den Fall Kurnaz und das schäbige Verhalten der damaligen SPD-Grünen-Bundesregierung massiv erschwert werden. Dennoch beharrt Lammert darauf, »daß mehrfach geheime Unterlagen weitergegeben worden sind. Das ist keine Lappalie, sondern ein Straftatbestand.« Noch immer will der Bundestagspräsident nicht wahrhaben, daß es einen Unterschied macht, ob man ein »Leck« im eigenen Apparat sucht, oder ob man die freie Presse kriminalisiert. Da Geheimnisverrat nur auf Ermächtigung hin verfolgt wird, könnte Lammert mit einer Rücknahme eine sofortige Einstellung aller gegen Journalisten laufenden Strafverfahren bewirken. Tut er dies nicht, setzt er sich dem Verdacht aus, daß er kein Interesse an einer Beendigung der allseits kritisierten Strafverfolgung hat.
Unterdessen hat sich sogar der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Bosbach (CDU) in der Frankfurter Rundschau vom Dienstag für eine Gesetzesänderung eingesetzt, um klarzustellen, daß sich Journalisten bei der Veröffentlichung geheimer Unterlagen nicht strafbar machen. Entsprechende Gesetzentwürfe wurden bereits von der Linksfraktion, der FDP und den Grünen eingebracht.
Zuerst erschienen in: junge Welt vom 09.08.2007