Artikel für Rotlicht

Asylrecht

Von Ulla Jelpke
(erschienen in der jungen Welt am 28.01.2015)

»Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«, so heißt es kurz und knapp im Grundgesetz, Artikel 16a. Oder besser: hieß es kurz und knapp, bis 1993 eine große Koalition aus Union und SPD dem Passus die Absätze 2–5 anfügte, die zu seiner faktischen Aushebelung führten. Ersonnen wurde der »sichere Herkunftsstaat«, in dem per definitionem keine politische Verfolgung stattfindet. Erst im vergangenen Jahr wurden Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina entsprechend eingestuft. Ersonnen wurde außerdem der »sichere Drittstaat«. Wer durch diesen sicheren Drittstaat gereist ist – und die Bundesrepublik ist von solchen Staaten umgeben –, der kann das Recht auf Asyl nicht geltend machen. Diese Regelung wurde mit dem Dublin-Übereinkommen 1994 quasi europäisiert: Asylsuchende haben prinzipiell nur dort ein Recht auf Durchführung eines Aufnahmeverfahrens, wo sie zuerst in die EU eingereist sind.

Man musste nach der »Asyl-Kompromiss« genannten Abschaffung des alten Rechts schon vom Himmel gefallen sein, um in Deutschland ein entsprechendes Verfahren ermöglicht zu bekommen. Auch die Ankunft per Flugzeug reicht nicht: Denn mit dem Flughafenverfahren wurde ein Kniff gefunden, Asylsuchende gleich im Transitbereich des Flughafens abweisen zu können. Für alle, deren Asylanträge nun als »offensichtlich unbegründet« gelten, wurde gleich im neugefassten Artikel 16a Grundgesetz geregelt, dass für sie kein Rechtsschutz mehr besteht. Die Klage gegen einen ablehnenden Asylentscheid hat für Schutzsuchende aus vermeintlich »sicheren« Staaten seitdem keine aufschiebende Wirkung mehr.

 Dieser weitgehenden Aushebelung des grundgesetzlichen Rechts auf Asyl vorausgegangen war seit Mitte der 1980er Jahre eine bis dahin beispiellose Hetze gegen Flüchtlinge. Nur wenige Prozent erhielten damals Asyl. Dieses Ergebnis einer ungemein restriktiven Anerkennungspraxis bot Nahrung für die Mär vom »Asylbetrug«. Denn so konnte behauptet werden, die entsprechende Prüfung ergebe, dass die Asylgründe nur vorgeschoben seien. Nach 1990 wurde die Debatte zugespitzt, als die Antragszahlen sprunghaft stiegen. Rassismus und die Angst vor »Überfremdung« in weiten Teilen der Bevölkerung wurden von Neofaschisten und anderen Rechten gegen Flüchtlinge kanalisiert. Nach 1990 waren davon besonders Roma aus Bulgarien und Rumänien und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem zerfallenden Jugoslawien (darunter wiederum zahlreiche Roma aus Bosnien-Herzegowina) betroffen, deren Asylanträge reihenweise abgelehnt wurden. Sie waren Opfer von zahlreichen Anschlägen und Ausschreitungen unter anderem in Rostock-Lichtenhagen wenige Wochen vor der Abstimmung über den »Asylkompromiss«. In der Partei »Die Republikaner« manifestierte sich die rassistische Bewegung parlamentarisch. Die Stichworte von rechtsaußen fanden ihren Widerhall in den etablierten Parteien, allen voran die CDU/CSU.

Die Parallelen zur heutigen Entwicklung sind unübersehbar: Wieder macht sich der »Volkszorn« Luft, nicht nur bei »Pegida« und ähnlichen Aufmärschen, sondern auch parteiförmig in Gestalt der »Alternative für Deutschland«. Und wieder greifen vor allem Unionspolitiker die Stichworte auf und üben sich in selektiver Wahrnehmung der Fakten. Auch heute wird gern darauf verwiesen, dass im vergangenen Jahr nur 1,8 Prozent der Antragsteller Asyl nach Artikel 16a erhielten. Dabei fällt unter den Tisch, dass 2014 insgesamt 48,5 Prozent der inhaltlich entschiedenen Anträge zu einem Schutzstatus führten – in den meisten Fällen als Flüchtling nach der Genfer Flüchtlingskonvention. Und zur Wahrheit gehört auch, dass viele derjenigen, deren Anträge abgelehnt werden, in ihren Herkunftsländern existenziell bedroht sind – sei es durch religiösen und staatlichen Terror wie in Afghanistan oder durch rassistische Diskriminierung wie im Falle der Roma vom Balkan. Asylanerkennungsquoten geben also heute wie damals in erster Linie Aufschluss über enge gesetzliche Vorgaben und eine restriktive behördliche Praxis – aber nur wenig über den tatsächlichen Schutzbedarf der Asylsuchenden.