Neues Verfassungsschutzgesetz stärkt den Inlandsgeheimdienst
Artikel von Ulla JelpkeV-Leute des Verfassungsschutzes dürfen künftig ganz offiziell Straftaten begehen. Das sieht ein Gesetzentwurf vor, den die Bundesregierung am Mittwoch beschlossen hat und mit dem angeblich die Konsequenzen aus den Verwicklungen des Geheimdienstes aus der Mordserie des NSU gezogen werden. Tatsächlich wird der Geheimdienst aber nicht einer stärkeren Kontrolle unterzogen, sondern personell aufgerüstet und mit mehr Befugnissen ausgestattet.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) räumte zwar ein, dass es sich bei solchen Spitzeln um Leute handelt, »mit denen man sonst nicht zusammenarbeiten möchte«. Dennoch seien sie »unersetzbar für die Informationsgewinnung«. Anders als bisher soll künftig darauf geachtet werden, dass Neonazis nicht soviel Honorar erhalten, dass sie »hauptberuflich« davon leben. Zu Haftstrafen verurteilte Straftäter dürfen »grundsätzlich« nicht mehr als V-Leute angeheuert werden – Ausnahmen sind aber möglich, wenn zum Beispiel aus »operativen Gründen zu diesem V-Leute-Einsatz keine Aufklärungsalternative« besteht, heißt es im Gesetz. Ähnlich wie verdeckte Ermittler sollen auch V-Leute zukünftig Straftaten mit entsprechendem »subkulturellem Hintergrund« begehen können, wenn sie etwa zur Tarnung ihrer Identität nötig sind. Gemeint sind etwa die Mitgliedschaft in einer als terroristisch eingestuften Vereinigung und kleinere Delikte. Wer den »Hitlergruß« entbietet oder gegen das Vermummungsverbot verstößt, braucht nicht unbedingt mit einer Strafverfolgung zu rechnen.
Allerdings könnten darüber hinausgehende Straftaten »jenseits einer planmäßigen Auftragserledigung situativ unausweichlich werden, um eine Enttarnung zu vermeiden und zugehörigkeitsstiftende Akzeptanz zu erhalten«, heißt es abschwächend in der Gesetzesbegründung. Exemplarisch werden darin Sachbeschädigungen im Anschluss an Demonstrationen genannt, wenn sich der V-Mann »unter einem dynamischen Gruppeneindruck dem nicht entziehen kann.«
Offiziell verboten sind Delikte wie Körperverletzung, Freiheitsentziehung oder gar Tötung. Sollte ein Spitzel in solche Straftaten verwickelt sein, dann »soll« sein Einsatz unverzüglich beendet werden. Aber: »Über Ausnahmen entscheidet der Behördenleiter oder dessen Vertreter.« De Maizière führte am Mittwoch im Bundestag dazu aus, wenn ein bevorstehender konkreter Anschlag nur dadurch verhindert werden könne, dass ein V-Mann »erhebliche Straftaten« begeht, könne das gerechtfertigt sein. Ob damit ein Szenario gemeint sein könne, in dem der Anschlag durch die Straftat überhaupt erst verwirklicht werden kann, blieb offen.
Der Linken-Fraktionsvize Jan Korte sagte im Bundestag, wer den Verfassungsschutz personell verstärke und mit mehr Befugnissen ausstatte, »belohnt ein intransparentes System«. Der Inlandsgeheimdienst habe bislang auf ganzer Linie versagt und sei mit Bürgerrechten »schwer in Einklang zu bringen«. Die Datenschutzbeauftrage Andrea Voßhoff kritisierte einen weiteren Aspekt des Gesetzentwurfes: Die Zusammenführung relevanter Informationen aus den Bundesländern in einen gemeinsamen Datenverbund. Hier würde der Datenschutz aufgeweicht, und die Kriterien für die Erfassung seien überhaupt nicht klar, so Voßhoff.
Das Grundprinzip von V-Leuten ist, dass sie aus der Szene selbst heraus rekrutiert werden, was ihre Verlässlichkeit als Informanten gravierend in Frage stellt. Das wurde beim NSU-Skandal mehr als deutlich, wo sich V-Leute damit brüsteten, sie hätten den Geheimdienst ausgetrickst. Dieses Problem geht auch der neue Gesetzentwurf nicht an.
Die Brisanz des V-Leute-Wesens zeigt sich auch in der jüngsten Forderung des Bundesverfassungsgerichts im laufenden NPD-Verbotsverfahren. Karlsruhe verlangt von den Ländern weitere Beweise dafür, dass die V-Leute in der NPD tatsächlich abgeschaltet wurden und Parteiprogramm sowie Strategiepapiere ohne ihre Mitarbeit zustande kamen. An der Durchsetzung mit V-Leuten der Geheimdienste war 2003 bereits das erste NPD-Verbotsverfahren gescheitert, die Karlsruher Richter monierten eine »mangelnde Staatsferne« der Nazipartei.
Als Konsequenz daraus hat bislang einzig das Bundesland Thüringen mit dem Prinzip der V-Leute gebrochen: Vor wenigen Tagen erklärte das Innenministerium des von Linken, Grünen und SPD regierten Landes, das V-Leute-System nicht fortführen zu wollen. Obwohl »in begründeten Einzelfällen zum Zweck der Terrorismusbekämpfung« Hintertürchen offengelassen werden, hagelt es nun massive Kritik an Thüringen. Andere Bundesländer drohen damit, sie würden Thüringen vom Informationsfluss abschneiden. Bundesinnenminister de Maizière erklärte bereits, das Bundesamt werde, »wenn nötig«, selbst Beobachtungsmaßnahmen durchführen. Das neue Gesetz sieht ausdrücklich die Stärkung des Bundesamts als »Zentralstelle« vor. Die Schwächung des Geheimdienstes in Thüringen könnte also von oben faktisch unterlaufen werden.