Die französische Polizei hat in der Nacht zum Mittwoch Tränengas und Schockgranaten auf die Bewohner des Anti-NATO-Camps bei Strasbourg geschossen. Dem vorausgegangen waren zahlreiche Provokationen der »Sicherheitskräfte« in Form häufiger Kontrollen und Überflüge mit Hubschraubern. Das berichteten NATO-Gegner am Mittwoch. Den Angehörigen einer Volksküche wurde die Einreise nach Frankreich verweigert, weil eine Frau in Polizeidateien dem »schwarzen Block« zugerechnet wird (jW berichtete). Das ist offenbar darauf zurückzuführen, daß das Bundeskriminalamt (BKA) Personendaten aus sogenannten Störerdateien an Frankreich übermittelt hat. Die NATO-Gegner reagierten am Mittwoch mittag mit einer Kundgebung »gegen den Sicherheitszirkus«.
Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) kündigte an, weitere Anhänger der linksextremistischen Szene mit Meldeauflagen belegen zu lassen. »Die Personen aus der Szene, die in der Vergangenheit mit gewalttätigen Aktionen in Erscheinung getreten sind, müssen mit uns rechnen«, sagte Rech. »Sie sollen wissen, daß wir sie im Auge haben.
Das Verwaltungsgericht Wiesbaden entschied am Dienstag abend in zwei Eilverfahren, daß das BKA der NATO keine Empfehlungen zu Journalisten übermitteln darf, die sich zum Gipfel in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden akkreditieren wollen. Für die Praxis des Bundeskriminalamts, die vom NATO-Akkreditierungsstab übermittelten Daten der Journalisten mit dem polizeilichen Informationssystem INPOL abzugleichen und dem Militärpakt daraufhin grünes oder rotes Licht zu geben, gebe es keine Rechtsgrundlage. Denn auf dem Akkreditierungsformular erteilen die Medienschaffenden lediglich ihre Zustimmung dafür, daß ihre Daten »gespeichert und in Verbindung mit meiner Akkreditierung verwendet werden«. Das beinhalte aber »keine Zustimmung zu einer Übermittlung der Daten an das BKA«, heißt es in den Urteilsbegründungen, die junge Welt vorliegen. Eindeutig stellt das Gericht fest: »Die Übermittlung einer Bewertung an das NATO-Hauptquartier ist offensichtlich unzulässig.« Das BKA-Gesetz lasse zwar zwischenstaatlichen Datenaustausch zu, aber keine Datenübermittlung an die Zentrale des Militärpakts. Geklagt hatten Kamil Majchrzak, Redakteur der polnischen Ausgabe von Le Monde Diplomatique, sowie der freie Journalist und jW-Autor Björn Kietzmann. Das BKA wurde vom Gericht aufgefordert, sein negatives »Votum zurückzunehmen und gegenüber dem NATO-Hauptquartier zu erklären, daß jegliches Votum bezüglich Journalisten durch das BKA gegenüber dem NATO-Hauptquartier wegen fehlender Rechtsgrundlage unzulässig ist«.
Offizieller Zweck der BKA-Prüfungen ist es, »mögliche Gefahren« für führende Politiker abzuwehren. In INPOL sind allerdings nicht nur Verurteilungen wegen Gewalttaten gespeichert, sondern auch Aufenthaltsermittlungsverfahren, frühere, darunter auch eingestellte Strafverfahren und gegenwärtige Strafanzeigen. Daß das BKA politische Motive heranzieht, legt eine Mitteilung des BKA-Datenschutzbeauftragten an den Journalisten Kietzmann nahe: Aus den Unterlagen sei ersichtlich, daß er sich »in den Jahren 2005 bis 2007 aktiv an Aktionen der linken Szene beteiligt hat«. Trotz bundesweiter Ermittlungen gebe es »keine Anhaltspunkte für eine rechtskräftige Verurteilung« – einen Widerruf des Negativbescheides an die NATO lehne das BKA aber weiter ab. Diese Position muß das Bundeskriminalamt nach dem Urteil möglicherweise korrigieren. Die Linksfraktion forderte gestern die Bundesregierung auf, die demokratischen Grundrechte »nicht der NATO zu opfern«. Das BKA müsse seine rechtswidrige Praxis unverzüglich stoppen: »Es darf keine Schwarzen Listen geben, weder für Demonstranten noch für Journalisten.«