Neuauflage einer Dokumentation der Antirassistischen Initiative über tödliche Folgen der Flüchtlingspolitik
Von Ulla JelpkeDeutsche Flüchtlingspolitik kostete seit 1993 mindestens 451 Menschen das Leben. Das hat die Antirassistische Initiative (ARI) in Berlin im Rahmen ihrer jetzt bis Ende 2014 fortgesetzten Dokumentation »Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen« errechnet.
Viele Verzweifelte begingen Suizid angesichts drohender Abschiebungen, starben aufgrund direkter Gewaltanwendung durch Polizei bzw. Wachpersonal oder wegen unterlassener Hilfeleistung in Flüchtlingslagern und Abschiebeknästen. Sie ertranken beim Versuch, die polnisch-deutsche Grenze Deutschlands an der Neiße zu überqueren oder starben im Radkasten eines Flugzeuges, mit dem sie nach Deutschland zu kommen hofften. Einige wurden nach ihrer Abschiebung gefoltert und ermordet. Weitere 94 Flüchtlinge starben durch rassistische Angriffe etwa bei Anschlägen und Bränden. Dazu kommende Tausende Fälle, in denen Menschen Verletzungen infolge der staatlichen Flüchtlingspolitik davontrugen.
Rund 7.000 Einzelschicksale umfasst die auf der Auswertung von Presseartikeln, Polizeiberichten und Informationen von Flüchtlingshilfsorganisationen beruhende ARI-Studie mittlerweile. So starb der 42jährige Victor Osorio T. am 13. Juni 2013 nach seiner Abschiebung aus Deutschland nach Honduras, weil seine Medikamente zur Neige gingen. Ein Sachbearbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge war zuvor zu dem Ergebnis gekommen, dass sich T., der in Deutschland eine Herzoperation vornehmen ließ, sich auch im zweitärmsten Land Lateinamerikas weiter behandeln lassen könne.
Am 9. Januar 2014 schluckte der Tamile Y. A. 40 Tabletten eines Psychopharmakons. Der in Sri Lanka schwer gefolterte Mann hatte erfahren, dass er abgeschoben werden sollte. Am 9. Februar 2014 versuchte der 33jährige Kurde Ghayeb Y. in der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge in Eisenhüttenstadt, sich mit einem Messer umzubringen. »Achtmal bin ich fast gestorben, aber ich wollte nicht aufgeben, bis ich in Deutschland war«, berichtete er einer Journalistin von seiner dramatischen Flucht aus Syrien. »Jetzt bin ich hier, jetzt kann ich auch sterben.« Zumindest sein Leben wurde gerettet, ein Jahr später erhielt Y. einen Aufenthaltstitel.
Am 15. August 2014 wurde der 28jährige Algerier Marwan R. in einer Flüchtlingsunterkunft im nordrhein-westfälischen Burbach von Wachleuten gefesselt, gefoltert und gedemütigt. Die Bewacher waren selbst bei Kollegen als »SS-Truppe« bekannt.
Die ARI beklagt einen »rassistischen Konsens« von Staat und Gesellschaft, der zu geschlossenen Grenzen, Schutzverweigerung, Entmündigung, Ausgrenzung und Kriminalisierung – und in letzter Konsequenz zum Rausschmiss aus der BRD – führe. Doch nicht nur restriktive gesetzliche Rahmenbedingungen, sondern Allmachtgebaren, Willkür, Schikanen und Rechtsbrüche durch Behördenvertreter, Polizei und Wachpersonal machten den Schutzsuchenden das Leben zur Hölle.
Begonnen wurde die ARI-Dokumentation mit dem Jahr 1993. Damals schaffte eine verfassungsändernde Mehrheit aus der regierenden CDU/CSU-FDP-Koalition und der oppositionellen SPD mit dem sogenannten Asylkompromiss das vom Grundgesetz garantierte Asylrecht nach einer jahrelangen Hetze gegen »Asylbetrug« und »Asylantenflut« und einer Welle neonazistischer Anschläge faktisch ab.
Im Juni steht eine weitere Verschärfung der Asylgesetzgebung im Bundestag zur Abstimmung. Ziel des Gesetzentwurfs der Regierungsfraktionen ist die schnelle und konsequente Ausweisung und Rückführung von Geflüchteten, deren Asylanträge als »offensichtlich unbegründet« eingestuft werden oder die über ein »sicheres Drittland« eingereist sind. Die Abschiebehaft soll so breite Anwendung finden, dass sie praktisch jeden Flüchtling treffen kann. Die Linksfraktion im Bundestag spricht von einem faktischen Inhaftierungsprogramm für Flüchtlinge.
Die zweibändige Dokumentation kostet 21 Euro (plus 3,60 Euro Porto und Verpackung).