Polizei und Geheimdienste streiten in bisher nicht gekannter Schärfe über Kompetenzen und Fähigkeiten. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen die sogenannte »Internationale Jihad Union« (IJU), die im September zur Festnahme von drei Verdächtigen im Sauerland führte, wirft ein 56seitiger Bericht des Bundes-kriminalamtes (BKA) und der Landes-kriminalämter dem Verfassungsschutz mangelnde Kooperation vor.
In der Analyse der intern »Operation Alberich« genannten Aktion behauptet das BKA, die Nachrichtendienste hätten die Polizei »nur sehr zurückhaltend und lückenhaft« mit Informationen versorgt. Die spärlichen Daten seien außerdem nur wenig hilfreich gewesen: Daraus zieht die Polizei den Schluß, daß »eigene polizeiliche Informationserhebungen erforderlich« seien. Es bestehe die »Notwendigkeit einer Anpassung der polizeilichen Maßnahmen an das täterseitig gezeigte Verhalten«, so zitierte Spiegel online am Donnerstag den bislang noch geheimen Bericht, der auch eine unzureichende technische und personelle Ausstattung der Polizei beklagt. Damit wird klar, worauf die Klagen hinauslaufen: Der Bericht soll eine umfassende Aufrüstung des BKA begründen. Gewünscht wird der Einsatz verdeckter Ermittler, die heimliche Onlinedurchsuchung von Computern, die umfassende Überwachung von Internet-Cafes und die Videoüberwachung von Wohnungen. Die Grenzen zwischen Polizeiarbeit und geheimdienstlichen Methoden sollen endgültig verschwinden.
Paradoxerweise wehren sich ausgerechnet die Geheimdienste gegen diese Entwicklung und schießen, durch den Polizeibericht offenbar beleidigt, zurück. Ebenfalls auf Spiegel online äußerte ein anonym bleibender Verfassungsschützer: »Das ganze Papier ist reine Propaganda«. Die Polizei habe »Allmachtsphantasien«. Sie sei aber mit solch sensiblen Informationen, wie sie die Geheimdienste erhielten, völlig überfordert und dürfe deshalb nicht alles erfahren. Gewöhnliche Polizisten könnten »doch einen Koran nicht von einer Bombenbauanleitung unterscheiden«, wird der Anonymus weiter zitiert.
Die umstrittene »Analyse zu möglichen Optimierungsfeldern im Rahmen der Ermittlungsgruppe Zeit« dürfte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) sehr gelegen kommen, will er doch ohnehin aus dem BKA eine Art »deutsches FBI« machen und ihm geheimdienstliche Befugnisse einräumen. Die von Schäuble schon lange angekündigte BKA-Reform steht ab Februar 2008 auf der Agenda der Koalition. Bis dahin will das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob der Verfassungsschutz NRW Onlinedurchsuchungen vornehmen darf, was auf eine Grundsatzentscheidung über diese Spitzeltechnologie hinauslaufen wird. Linksfraktion und FDP forderten mittlerweile die Vorlage des Geheimberichts und eine Debatte in der nächsten Sitzung des Innenausschusses des Bundestages.
Seit den spektakulären Festnahmen im Sauerland am 4. September hat es in der BRD keine weiteren Verhaftungen in Sachen IJU gegeben. Damals hatten die Sicherheitsbehörden einen großen Erfolg gefeiert. Als willkommener Nebeneffekt sollte der Bevölkerung vor Augen geführt werden, wie groß die »terroristische Bedrohung« sei. Der baden-württembergische Verfassungsschutz bezweifelte indes, daß die IJU überhaupt existiert. Ein früherer britischer Botschafter hat sogar von einer Propaganda-Erfindung des usbekischen Geheimdienstes gesprochen.