Artikel: Gegen Sexismus

Linke Antworten auf die Ereignisse in der Kölner Silvesternacht

 

von Ulla Jelpke (erschienen in Frauenrechte – Beilage der jungen Welt zum 8. März 2016)

 

Der Terror kam (noch nicht) aus der Kalaschnikow oder von Sprengstoffgürteln, er kam aus Feuerwerkspistolen und von Feuerwerkskrachern. Und von den grapschenden Händen der Männer. Die Jungs üben noch.« Das schrieb Alice Schwarzer am 5. Januar zu massiven frauenfeindlichen Übergriffen in der Silvesternacht in Köln. Sie sieht hier die Folge einer »falschen Toleranz (…), in deren Namen man Parallelwelten entstehen ließ und nicht auf Integration bestand«. Neu sind solche kruden Thesen aus dem Mund der bekannten Frauenrechtsaktivistin nicht. Vor einem Jahr sorgte Schwarzer für einen Aufschrei, als sie in einem Artikel die fremdenfeindlichen Pegida-Demonstrationen als Ausdruck eines berechtigten Unbehagens gegen islamistischen Terror verteidigte.Der Weg vom über die Stränge schlagenden Feiernden zum Kleinkriminellen und von dort zum islamistischen Terroristen ist für die Emma-Herausgeberin kurz. So mutmaßte Schwarzer in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt (15.1.) gar, es könnte sich bei den Ereignissen von Köln um eine gezielt eingesetzte »Kriegswaffe« von eingeschleusten IS-Zellen im Kampf gegen Frauenemanzipation in Deutschland gehandelt haben. »Die Männer in Köln waren radikale Muslime«, beharrte Schwarzer auch noch am 22. Februar in einer Talkshow auf ihrer Sichtweise. Schon die Beobachtung, dass ein großer Teil der vor dem Bahnhof Feiernden betrunken war, lässt an dieser völlig unbelegten These zweifeln, denn Alkohol ist strenggläubigen Muslimen strikt untersagt.

Ohne Zweifel gab es in der Silvesternacht in Köln sexuelle Übergriffe junger und der Beschreibung vieler Opfer nach arabisch oder nordafrikanisch aussehender Männer auf Frauen. Die Kölner Staatsanwaltschaft ermittelt bislang gegen 78 überwiegend aus Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen stammende Männer, vor allem wegen Diebstahls; wegen Sexualstraftaten allerdings »nur« gegen 14 von ihnen. Offensichtlich diente das »Begrapschen« in vielen Fällen dazu, von Taschendiebstählen abzulenken. Was die neue Qualität von Köln ausmachte, war der massenhafte Charakter der Übergriffe. Laut Polizei gibt es allerdings keine Hinweise auf Verabredungen zu den Straftaten, die offenbar »spontan« von einzelnen Gruppen aus einer Menschenmenge heraus begangen wurden. In der Presse war dagegen schnell von einem »tausendköpfigen Mob« die Rede, der gemeinschaftlich Frauen überfallen habe.

Bis Mitte Februar stieg die Zahl der Anzeigen mutmaßlicher Opfer der Kölner Geschehnisse auf über 1.100, rund 600 davon auch wegen sexueller Übergriffe. Selbst wenn es sich bei einigen Anzeigen um Falschmeldungen rechtsextremer Trittbrettfahrerinnen handeln sollte, bleibt die Zahl extrem hoch. Eine Erklärung dafür ist, dass viele Frauen sich dieses Mal durch die Medienberichterstattung und die anderen schon eingegangenen Anzeigen dazu ermutigt sahen, Vorfälle zu melden, die sie sonst unter Umständen hingenommen hätten. Selbst wenn die Täter nicht ermittelt werden können, erscheint eine Strafanzeige so zumindest als ein politisches Statement – und zwar in erster Linie gegen sexualisierte Gewalt und nicht gegen Flüchtlinge und Migranten.

Ruf nach schärferen Gesetzen

Schon wenige Tage nach Silvester, als noch keinerlei Klarheit über die Vorgänge und mögliche Tatverdächtige bestand, ertönte aus der Regierungskoalition der Ruf nach Gesetzesverschärfungen. Gemeint ist eine Verschärfung des Ausweisungsrechts, um Straftäter leichter ausweisen zu können, sowie die Einstufung von Marokko, Algerien und Tunesien als sichere Herkunftsstaaten.

Dabei handelt es sich um reinen Populismus, denn bereits jetzt ist es möglich, nichtdeutsche Straftäter nach einer Verurteilung aufgrund einer schweren Straftat auszuweisen. Nun sollen künftig bereits Bewährungsstrafen ein besonderes Ausweisungsinteresse begründen, dabei sprechen diese ja gerade für eine günstige Sozial­prognose des Betroffenen. Dazu kommt, dass das Asylrecht ein Grundrecht ist und eine Abschiebung etwa wegen eines Handydiebstahls vollkommen unverhältnismäßig wäre. Die geplanten Verschärfungen werden aller Voraussicht nach vor allem langjährig in Deutschland Lebende ohne deutschen Pass betreffen. Wenn diese straffällig werden, ist das aber auch ein Problem unserer Gesellschaft und der Defizite bei der Integration, insbesondere in den Bereichen Bildung und Arbeit.

Gesetzesverschärfungen beim Sexualstrafrecht fordern Frauenrechtsgruppen mit der Kampagne »Nein heißt nein« dagegen schon seit Jahren. So hat die Bundesrepublik die Übereinkunft des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt aus dem Jahr 2011, auch als »Istanbul-Konvention« bekannt, noch immer nicht ratifiziert und deren Forderungen nicht umgesetzt. Justizminister Heiko Maas (SPD) hat angekündigt, diese lange versäumte Gesetzesanpassung vorantreiben zu wollen.

Mit entsprechender Änderung des Strafgesetzbuches könnte jede sexuelle Handlung, die nicht mit Einverständnis beider Partner geschieht, unter Strafe gestellt werden. Bislang gilt eine Vergewaltigung laut Gesetz nur dann als Vergewaltigung, wenn sich das Opfer zur Wehr gesetzt und eben nicht nur »nein« gesagt hat. Nach geltendem Recht könnte ein Großteil der Kölner Übergriffe selbst bei Ermittlung der Täter gar nicht strafrechtlich verfolgt werden. Sexuelle Belästigung gilt als Bagatelldelikt.

Dennoch sperren sich CDU und CSU bis heute gegen eine Anpassung des Sexualstrafrechts an die Istanbul-Konven­tion, so wie sie noch bis 1997 verhindern wollten, dass Vergewaltigung in der Ehe unter Strafe gestellt wird. Wenn Unionspolitiker nun Ausweisungen bei Sexualdelikten einfordern, ist die Doppelmoral dahinter unschwer zu erkennen.

Nicht in die Falle tappen

Linke dürfen Rassismus und Sexismus nicht als voneinander getrennte Unterdrückungs- und Diskriminierungsformen betrachten. Die Kämpfe gegen beides können sonst gegeneinander ausgespielt werden. Frauenverbände und antirassistische Gruppierungen, die sich eine Woche nach Silvester in Köln einem Pegida-Aufmarsch entgegenstellten, haben sich zu Recht gegen eine fremdenfeindliche Instrumentalisierung der Kölner Übergriffe gestellt.

Sicherlich sind frauenfeindliche Haltungen unter manchen Zuwanderergruppen stärker vertreten als unter anderen. Gegen den Kulturkampf der Rechten sowie von xenophoben Feministinnen wie Alice Schwarzer muss allerdings deutlich gemacht werden, dass dies nichts mit einer genetischen oder religiösen Prägung zu tun hat. Die Gründe müssen vielmehr in den soziokulturellen Bedingungen in den unter wirtschaftlicher Unterentwicklung und neokolonialen Abhängigkeiten leidenden Herkunftsländern sowie in Ausgrenzung, Entrechtung und Perspektivlosigkeit von Flüchtlingen in Europa gesucht werden.

Um nicht in die Rassismusfalle zu tappen, ist es unerlässlich, dass sich deutsche Feministinnen mit migrantischen Frauenrechtsaktivistinnen in ihrem Kampf gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt zusammentun. Die kurdische Frauenbewegung etwa ist auch in Deutschland gut organisiert und seit langem gegen eine, wie sie es nennt, »Vergewaltigungskultur« nicht nur in ihrem Kulturkreis aktiv.

Wenn jetzt Neonazis und rechte Hooligans Bürgerwehren zum Schutze »unserer Frauen« bilden, spricht das für ein Frauenbild, dass nicht allzuweit von dem der Islamisten entfernt ist. Gegenüber solchen »Beschützern« gilt es deutlich zu machen: Frauen sind niemandes Eigentum und auch keine hilflosen Opfer.

Erschienen in Frauenrechte – Beilage der jungen Welt zum 8.März