Vor einer Woche beschloss das türkische Parlament mit den Stimmen der regierenden AKP, der faschistischen MHP und einem Teil der sozialdemokratischen CHP-Fraktion eine Verfassungsänderung zur Aufhebung der Abgeordnetenimmunität. Auch wenn rund ein Viertel aller Abgeordneten, gegen die derzeit Strafverfahren laufen, davon betroffen sind, richtet sich das im Namen der Terrorbekämpfung erlassene Gesetz vor allem gegen die Demokratischen Partei der Völker (HDP). Diese linke prokurdische Partei, die derzeit die drittstärkste Fraktion im Parlament stellt, steht den Diktaturplänen des türkischen Präsidenten Erdogan im Wege. Weil sich die HDP für eine Lösung der kurdischen Frage durch Demokratisierung, Dezentralisierung und Autonomierechte einsetzt, wirft ihr Erdogan vor, Sprachrohr der verbotenen PKK und ihrer Guerilla zu sein.
Nach dem Entzug der Immunität droht fast allen der 59 HDP-Abgeordneten Anklagen nach dem Antiterrorgesetz, Verhaftungen und im Falle ihrer Verurteilungen der Verlust ihrer Abgeordnetenmandate. Erdogans erklärtes Ziel ist der Ausschluss der HDP aus dem Parlament. Damit käme er näher an die nötige Abgeordnetenmehrheit, um ein auf ihn zugeschnittenes Präsidialsystem einzuführen.
Dutzende HDP-Bürgermeister wurden in den vergangenen Monaten bereits inhaftiert, weil sie sich für kommunale Selbstverwaltung einsetzten und deswegen des „Separatismus“ und „Terrorismus“ beschuldigt wurden. Die Zahl der verhafteten HDP-Funktionäre geht in die Hunderte, täglich werden es mehr. Wenn die HDP nun aus dem Parlament geworfen wird, haben die Kurden keine legale politische Vertretung mehr. Damit droht eine weitere, von Erdogan offensichtlich gewollte Eskalation der Gewalt.
Gleichzeitig geht der Krieg in den kurdischen Landesteilen mit unverminderter Härte weiter. Ganze Stadtviertel der seit Monaten von der türkischen Armee bombardierten Stadt Silvan liegen in Ruinen. Die seit über 70 Tagen belagerte Stadt Nusaybin wurde in den letzten Tagen nicht nur durch Panzer und Artillerie beschossen, sondern auch durch Kampfflugzeuge aus der Luft bombardiert. Die kurdischen Zivilverteidigungskräfte YPS haben erklärt, ihre bewaffneten Einheiten aus der Stadt abgezogen zu haben, um weitere zivile Opfer zu vermeiden. Doch noch immer befinden sich Tausende wehrlose Menschen in der Stadt. Hier drohen neue Massaker, wie im Februar in Cizre, wo faschistische Spezialeinheiten der Polizei über 160 Verwundete, Frauen und Kinder in den Kellern unter ihren zerstörten Häusern lebendig verbrannten.
Unterdessen enteignet die türkische Regierung Tausende Bewohner von Städten wie Diyarbakir-Sur, Cizre und Silopi, deren Häuser zuvor in Ruinen geschossen wurden. Die Wählerbasis der HDP in diesen Hochburgen der kurdischen Bewegung soll durch massenhafte Vertreibungen der Bewohner zerstört werden. Zugleich soll verhindert werden, dass die Menschen sich weiterhin basisdemokratisch in Stadtteilräten organisieren und ihr Leben in die eigene Hand nehmen.
Eine halbe Millionen Menschen aus den angegriffenen Städten sind jetzt auf der Flucht im eigenen Land. Wenn sie keine Friedensperspektive mehr sehen, werden viele von ihnen ihr Heil in der gefährlichen Flucht nach Europa suchen.
Das barbarische Vorgehen der türkischen Armee und der Polizeispezialeinheiten gegen die kurdischen Städte aber auch die kontinuierlichen Angriffe auf die Pressefreiheit, die Enteignung oppositioneller Zeitungen und die Inhaftierung dutzender regierungskritischer Journalisten sind nur möglich, weil sich das Erdogan-Regime auf die politische Rückendeckung der EU und insbesondere der Bundesregierung verlassen kann.
Gegen das Bündnis von Merkel mit dem Möchtegern-Sultan Erdogan müssen jetzt alle linken, demokratischen und humanistischen Kräfte in Deutschland den Schulterschluss mit der attackierten HDP und dem kurdischen Widerstand üben.
Internationale Solidarität gegen den Erdogan-Faschismus ist das Gebot der Stunde!