Bundestag startet Patenschaftsprogramm für HDP-Abgeordnete. Ein Gespräch mit Inge Höger
Interview: Ulla Jelpke (erschienen in der jungen Welt am 23.07.2016)Die Abgeordnete Inge Höger vertritt die Fraktion Die Linke im Menschenrechtsausschuss des Bundestages
Worum geht es bei dem Patenschaftsprogramm »Parlamentarier helfen Parlamentarier«?Mit einem gemeinsamen Antrag »Schutz von bedrohten Menschenrechtsverteidigern« hat sich der Bundestag im Jahr 2003 fraktionsübergreifend verpflichtet, Menschenrechtsverteidigern und bedrohten Parlamentariern international beizustehen. Bundestagsabgeordnete können seitdem die Patenschaft für bedrohte Parlamentarier übernehmen. Im Sekretariat des Menschenrechtsausschusses werden über 700 Namen von Parlamentariern, Menschenrechtlern, Journalisten und Dissidenten geführt, die weltweit verfolgt, unterdrückt und eingesperrt werden. Die Paten nehmen Kontakt auf und sprechen das Thema z.B. bei Auslandsreisen an, begleiten Prozesse oder besuchen Verfolgte im Gefängnis.
Wer hat die Initiative dafür ergriffen, das Programm auf die HDP-Abgeordneten anzuwenden?
Beim Besuch einer Frauendelegation der HDP wurde der Wunsch an die Linksfraktion und Abgeordnete des Bundestages herangetragen, Patenschaften für HDP-Abgeordnete zu übernehmen, die von der Aufhebung der Immunität durch die AKP-Regierung betroffen sind und mit Anklagen und Verfolgung bis hin zu Gefängnisstrafen rechnen müssen. Die Linksfraktion hat das dann im Arbeitskreis für internationale Politik und in der Fraktion besprochen und möchte viele Patenschaften übernehmen. Aber auch die anderen Fraktionen wollen sich an dieser Aktion beteiligen.
Die beiden Parteivorsitzenden der Linkspartei Bernd Riexinger und Katja Kipping haben ihre Patenschaftsunterstützung für Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag erklärt. Gibt es schon Paten für alle HDP-Abgeordneten, deren Immunität entzogen wurde?
Die Anträge auf Aufnahme in das Programm »Parlamentarier schützen Parlamentarier« werden nach und nach gestellt und bisher wurden 20 Anträge bewilligt. Auch die anderen Fraktionen wollen sich daran beteiligen und es sollen nach Möglichkeit für alle Abgeordnete von allen Parteien im türkischen Parlament, deren Immunität aufgehoben wurde, Anträge gestellt werden.
Im Zusammenhang mit der Armenier-Genozid-Resolution wurde von seiten der türkischen Regierung massiv Stimmung gegen einzelne Bundestagsabgeordnete gemacht. Ist es unter solchen Umständen nicht womöglich kontraproduktiv für die HDP-Abgeordneten, wenn von dieser Seite jetzt eine Patenschaft übernehmen wird?
Ich denke es ist gut und richtig, wenn sich Bundestagsabgeordnete nicht von Erdogan einschüchtern lassen, sondern ganz im Gegenteil zeigen, dass sie die Menschenrechtsverletzungen der AKP-Regierung nicht einfach hinnehmen und sich für den Schutz von gewählten Parlamentsabgeordneten einsetzen. Je mehr Abgeordnete aus allen Fraktionen sich an dem Programm beteiligen, umso besser können wir die türkischen Kollegen schützen.
Welche Patenschaft für welche Abgeordneten haben Sie selber übernommen?
Ich habe die Patenschaft für Caglar Demirel beantragt. Ich kenne sie bisher nicht persönlich, werde aber versuchen, so bald wie möglich Kontakt zu ihr aufzunehmen.
Was können die Paten unternehmen, wenn jetzt tatsächlich HDP-Abgeordnete verhaftet werden?
Wir können als Paten bei den Gerichten Auskunft über die Verfahren beantragen und die Abgeordneten im Gefängnis besuchen. Wir können Solidarität organisieren und gemeinsam mit anderen ihre Freilassung fordern. Wir können der türkischen Regierung klarmachen, dass wir ihre Menschenrechtsverletzungen genau beobachten und das Schicksal der von der Aufhebung der Immunität betroffenen Abgeordneten genau verfolgt wird. Wir können die Aufnahme weitere Menschenrechtsverteidiger in das Programm fordern.
Erdogan hat angekündigt, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen. Ist das auch als Drohung gegenüber den HDP-Abgeordneten zu verstehen?
Ich denke, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe will der Despot Erdogan allen Oppositionellen drohen, die die Politik der AKP-Regierung kritisch sehen. Die Regierung führt ja schon seit längerem Krieg gegen die eigene Bevölkerung, die Türkei war schon lange kein Rechtsstaat mehr. Spätestens seit dem Putschversuch ist das hoffentlich auch den EU-Ländern klar geworden. Es wird Zeit, die EU-Beitrittsverhandlungen auszusetzen und den schmutzigen Flüchtlingsdeal mit der Türkei aufzukündigen.