Artikel: Hass auf Flüchtlinge und Muslime

Hunderte Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte im ersten Halbjahr 2016

»Fakt ist, die Zahl von Gewalttaten, auch von Terroranschlägen, ist hierzulande in den letzten zwei Jahren geradezu explodiert. Aber Fakt ist auch, dass das Gros der Täter deutsche Rassisten und Nazis waren« – darauf wies die Linkspartei-Politikerin und Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau am Donnerstag im Interview mit dem Westdeutschen Rundfunk hin.

So zählte das Bundeskriminalamt im ersten Halbjahr 2016 bereits 655 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte und Flüchtlinge. Im gesamten Vorjahr waren es 1.031 derartige Delikte. Neben zahlreichen Fällen von Volksverhetzung und der Verwendung verfassungsfeindlicher Kennzeichen, also beispielsweise zeigen des Hitlergrußes und Hakenkreuzschmierereien, wurden in den ersten sechs Monaten des laufenden Jahres auch 118 Gewaltdelikte einschließlich 55 Brandstiftungen, neun Vergehen gegen das Sprengstoffgesetz und vier Fälle von Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion gegen Flüchtlingsunterkünfte registriert.

Allerdings scheint es einen deutlichen Rückgang von rechtsextremen Protesten direkt vor Flüchtlingsunterkünften gegeben zu haben. Wurden im ersten Quartal 2016 noch 17 derartige Aufmärsche von NPD und anderen Neonazis mit zusammen 2.100 Teilnehmern gezählt, so waren es nach Angaben der Bundesregierung im Folgequartal gerade einmal zwei.

Das Phantom einer angeblich drohenden »Islamisierung des Abendlandes« lockt zwar weiterhin regelmäßig Demonstranten auf die Straße. So zählte die Bundesregierung im ersten Halbjahr 2016 noch 129 islamfeindliche Kundgebungen, etwas mehr als im zweiten Halbjahr des Vorjahres mit 113 derartigen Protesten. Doch scheinen sich diese Aufmärsche langsam totzulaufen. Wurden im ersten Quartal des Jahres noch 80 derartige Aktionen mit zusammen 14.260 Teilnehmern gezählt, so waren es zwischen April und Juni nur noch 49 mit 4.335 Teilnehmern. Diese Angaben der Bundesregierung lassen allerdings nur ein ungefähres Lagebild zu. Denn Grundlage der Statistik sind Angaben der Landesbehörden, die in der Regel noch durch Nachmeldungen ergänzt werden. Und da ausgerechnet in Sachsen als Pegida-Kernland der dortige Verfassungsschutz keine rechtsextremistische Beeinflussung der islamfeindlichen Bewegung erkennen will, fehlen in der Auflistung weiterhin alle Aufmärsche in Dresden, Leipzig und anderen sächsischen Städten. Erfasst wurden fast ausschließlich die Demonstrationen der Pegida-Ableger in verschiedenen thüringischen und mecklenburgischen Städten sowie in Berlin, München, Potsdam und Duisburg. Bei den einzelnen Aufmärschen betrug die Zahl der Teilnehmer dabei lediglich zwischen 20 und maximal 200. Dabei dürfte es sich in der Regel um Leute aus einem gleichbleibenden Spektrum handeln, das sich etwa im Falle der Berliner Bärgida oder Duisburger Dügida nahezu wöchentlich zum rassistischen und antimuslimischen »Abendspaziergang« versammelten.

Folgt man den Statistiken der Bundesregierung, dann ging die Zahl islamfeindlicher Straf- und Gewalttaten im Halbjahr 2016 leicht zurück. Auf kleine Anfragen der Linksfraktion nannte die Bundesregierung 29 derartige Übergriffe gegenüber 44 im zweiten Halbjahr des Vorjahres. Diese Angaben sind allerdings nur sehr bedingt aussagefähig, da islamfeindliche Taten bislang nicht separat von den Polizeibehörden erfasst werden. Derzeit wird lediglich der Tatort »Religionsstätte/Moschee« berücksichtigt. Angriffe auf andere islamische Einrichtungen sind nicht enthalten. Dagegen tauchen in der Statistik neben vielen mutmaßlich von Rechtsextremisten begangenen Volksverhetzungsdelikten auch Taten auf, die offenkundig keinerlei islamfeindlichen Hintergrund haben. Ab kommendem Jahr soll es hier eindeutigere Zuschreibungen geben. So stimmten auf der Innenministerkonferenz Mitte Juni auch die Ländervertreter für die Überarbeitung des Themenfeldkataloges der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik beim Oberthema »Hasskriminalität« und die Aufnahme einer Kategorie »Islamfeindlichkeit«.

 

Erschien in junge Welt vom 13.8.16