Zivilschutzkonzept der Bundesregierung rät zu Hamsterkäufen für Kriegsfall
Erstmals seit dem Ende des Kalten Krieges hat die Bundesregierung wieder ein Zivilschutzkonzept für den Kriegs- und Katastrophenfall erarbeiten lassen. Zwar heißt es in einem der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) bereits vorliegenden 69seitigen Entwurf aus dem Bundesinnenministerium, dass ein Angriff auf das Territorium der Bundesrepublik, »der eine konventionelle Landesverteidigung erfordert, unwahrscheinlich« erscheine. Doch sei es notwendig, »sich trotzdem auf eine solche, für die Zukunft nicht grundsätzlich auszuschließende existenzbedrohende Entwicklung angemessen vorzubereiten«.
Bereits nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA und dem Hochwasser in Ostdeutschland im darauffolgenden Jahr hatte der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) die Gründung eines Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe als Koordinierungsstelle zwischen staatlichen Stellen und Hilfsorganisationen initiiert, die 2004 Wirklichkeit wurde.
Im Jahr 2012 hatte der Haushaltsausschuss des Bundestages schließlich eine neue Strategie »der zivilen Verteidigung« gefordert. Wie das Bundesinnenministerium gegenüber Spiegel online bestätigte, soll das nun vorliegende Konzept am Mittwoch im Bundeskabinett verabschiedet und anschließend von Bundesinnenminister Thomas de Maizière der Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Neben dem nicht gänzlich ausgeschlossenen Kriegsfall geht das Sicherheitskonzept vor allem von einer Bedrohung durch sogenannte hybride Konflikte aufgrund neuer technologischer Entwicklungen aus. Gemeint sind etwa Computerviren, die zur Sabotage von Kraftwerken und auch des Bankensystems eingesetzt werden können. Während an 140 Standorten in der Bundesrepublik Öl und Benzin zur »Vollversorgung« der Bevölkerung für 90 Tage gelagert werden soll, zielt das Konzept bei Lebensmitteln auf die »Eigenverantwortung und Selbstschutzfähigkeiten« der Bevölkerung. Diese wird zu Hamsterkäufen angehalten, um »einen individuellen Vorrat an Lebensmitteln von zehn Tagen vorzuhalten«, heißt es in dem Papier. Die Wasserversorgung will die Regierung offenbar bereits in der Hälft der Zeit wieder zum Laufen bringen. »Die Bevölkerung soll durch geeignete Maßnahmen angehalten werden, zur Eigen-/Erstversorgung bis zur Installation staatlicher Einzelmaßnahmen für einen Zeitraum von fünf Tagen je zwei Liter Wasser pro Person und Tag in nicht gesundheitsschädlicher Qualität vorzuhalten.« Zudem soll sich die Bevölkerung mit Medikamenten, Decken, Heizmaterial, Kerzen, geladenen Akkus und Bargeld bevorraten.
Auch an den Selbstschutz der staatlichen Organe wird gedacht, die im Falle »der Aufgabe des Dienstsitzes« ihrer Tätigkeit an einem »anderen, geschützteren Platz« nachkommen sollen. Ob die Verfasser des Papiers dabei wie vor 1989 an unterirdische Bunkeranlagen gedacht haben, ist nicht bekannt. Da diese Frage offenbar bislang vernachlässigt wurde, soll sich laut FAS der Bundessicherheitsrat damit befassen.
Die Oppositionsparteien im Bundestag werfen der Bundesregierung Panikmache vor. »Man kann die Menschen mit immer neuen Vorschlägen, so auch zu Hamsterkäufen, völlig verunsichern«, äußerte der Kovorsitzende der Linksfraktion, Dietmar Bartsch und sprach vor »Angstmacherei«. Der Vizefraktionsvorsitzende der Grünen, Konstantin von Notz, hält die Aktualisierung des Sicherheitskonzepts zwar für sinnvoll, da es angesichts neuerer technischer Entwicklungen fahrlässig sei, mit Konzepten von 1989 zu hantieren. Er sehe allerdings »kein Angriffsszenario, für das die Bevölkerung Vorräte anlegen sollte«, warnte der Grünen-Politiker vor einer Vermischung von ziviler Vorsorge mit militärischen und terroristischen Szenarien.
Doch genau darum scheint es den Verfassern des Papieres zu gehen. So wurde das zivile Sicherheitskonzept parallel zum kürzlich veröffentlichten neuen »Weißbuch« zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung erarbeitet, das gewissermaßen den theoretischen Rahmen für die praktischen Forderungen stellt. Verlangt wird darin erneut der Einsatz der Bundeswehr im Inland nicht nur als unterstützende Kraft bei Naturkatastrophen wie einem Hochwasser, sondern auch bei »terroristischen Großlagen«. Eine solche Verwendung als Hilfspolizei verstößt zwar gegen das Grundgesetz. Doch eifrig versuchen Unions-Innenpolitiker, sie durch die Hintertür zur Realität werden zu lassen.
Freimütig gestand so Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) ein, dass bei einem Amoklauf im Juli in München bereits 100 Feldjäger zum Eingreifen bereitstanden. Und Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) will laut Spiegel online im Herbst eine gemeinsame Übung der Einsatzstäbe von Polizei und Bundeswehr durchführen lassen.
erschien in junge Welt vom 22.8.16